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Zerstörung tropischer Regenwälder
Ungerechte Landverteilung und Landspekulationen
Ungerechte Landverteilung, Landspekulationen und Überbevölkerung sind Ursachen und Triebfedern der Regenwaldzerstörung. Konflikte um die Verteilung von Land gelten als „Motor der Entwaldung“. Indigene Gemeinschaften werden durch Landraub und Landspekulationen existenziell bedroht.
Menschen leben schon seit Jahrhunderten in den tropischen Regenwäldern und roden für den Eigenbedarf kleinflächig den Regenwald. Diese kleinflächige Regenwaldnutzung im Wanderfeldbau durch indigene Gemeinschaften (shifting cultivation) blieb jedoch ohne nennenswerte Folgen für die Regenwälder. Die Menschen waren mit der Beschaffenheit der nährstoffarmen tropischen Böden vertraut und konnten diese erfolgreich bewirtschaften.
Weltweit sind zwischen 80% und 90% der landwirtschaftlichen Betriebe in Familien- oder Kleinbauernbesitz. Etwa 2,5 Milliarden Menschen sind in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig. Trotzdem besitzen Kleinbauern nur einen kleinen Teil des verfügbaren Ackerlands und tragen verhältnismäßig wenig zur gesamten landwirtschaftlichen Produktion bei. Denn lediglich ein Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe der Welt betreibt heute 70% aller Getreidefelder, Farmen und Obstplantagen. Das Land ist also sehr ungleich verteilt, nur wenige große Betriebe und Unternehmen besitzen große Flächen allen global verfügbaren Ackerlands. In Mittel- und Südamerika besitzen 50% der ärmsten Menschen nur ein Prozent des Landes.
Amazonien – Land ohne Menschen für Menschen ohne Land
Unter dem Motto „Land ohne Menschen für Menschen ohne Land“ wird seit vielen Jahren die Besiedlung des riesigen und kaum bevölkerten Amazonasbeckens in Angriff genommen. Die brasilianische Regierung hat ab den 1970er-Jahren ehrgeizige Straßenbau- und Siedlungsprogramme zur wirtschaftlichen Entwicklung Amazoniens aufgelegt, zum Beispiel POLAMAZONIA (1974) und POLONOROESTE (1980). Die Programme zielten darauf ab, die Infrastruktur (Straßenbau, Energieversorgung etc.) auszubauen, große Gebiete durch Kleinbauern zu besiedeln, die aus dem Süden oder Nordosten des Landes kamen, und steuerliche Anzeize für Unternehmen zu schaffen, um die Wirtschaft anzukurbeln.
Damit begann die großflächige Zerstörung der tropischen Regenwälder am Amazonas, wofür zwei Hauptfaktoren verantwortlich sind – die brasilianischen Landgesetze und das Fehlen eines zuverlässigen amtlichen Grundstücksverzeichnisses (Kataster):
- Erstens erlauben die Landgesetze in Brasilien allen brasilianischen Bürgern, sich auf öffentlichen (nicht beanspruchten) Grundstücken niederzulassen. Die Menschen können das Land als Eigentum beanspruchen, wenn sie es privat nutzen und „verbessern“. Die Brandrodung des Waldes und die Umwandlung in Weide- oder Ackerland sind der einfachste Weg, eine solche „Verbesserung“ herbeizuführen – Äxte, Kettensägen und Brandrodungen sind Traktor und Dünger des kleinen Mannes.
- Zweitens sind die meisten Landtitel unsicher, was die Landbesitzer dazu veranlasst, ihre Anwesenheit auf dem Land und ihren Landbesitz nachzuweisen. Auch dies geschieht durch die Rodung des Waldes und die Umwandlung in Weide- oder Ackerland. Die Unsicherheit der Landbesitzer mit Blick auf ihr Land ist folglich eine Ursache für die Zerstörung tropischer Regenwälder.
Brasilien hat eine Fläche von 8,5 Millionen Quadratkilometern, wobei 36% des Lands öffentlich (nicht beansprucht), 44% privat und 17% nicht registriert oder mit unbekanntem Besitztitel sind. Ein großer Teil der tropischen Regenwälder im brasilianischen Teil Amazoniens befindet sich auf öffentlichem (nicht beanspruchtem) Land. Dies verdeutlicht, dass die brasilianischen Landgesetze eine wichtige Rolle bei der Zerstörung tropischer Regenwälder spielen. Die brasilianische Regierung hat dies erkannt und arbeitet derzeit an einem einheitlichen Kataster mit dem Namen „Environmental Rural Cadastre“ (CAR).
Tag des Feuers
Am 9. März 2019 organisierten Bauern in Novo Progresso in Para (1.643 Kilometer südwestlich von Belem) den „Tag des Feuers“ entlang des Soja-Highways BR-163, an dem massiv Regenwald durch Brandrodung zerstört wurde. Einen Tag später hatten sich die Feuer ausgebreitet, sodass 203 Feuer gezählt werden konnten. Umliegende Städte verschwanden unter dichten Rauchwolken. Die Bauern fühlten sich von den Worten des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro zur Brandrodung ermutigt.
Landspekulationen
Landspekulationen können ebenso eine Rolle bei der Zerstörung tropischer Regenwälder spielen. Aus wirtschaftlicher Sicht hat ein abgeholztes Grundstück immer einen größeren Wert als ein bewaldetes. Ein Landbesitzer, egal ob groß oder klein, kann daher einen erheblichen Gewinn erzielen, wenn er auf seinem Grundstück zuerst die wertvollen Tropenhölzer schlägt und gewinnbringend verkauft. Anschließend wird das Grundstück mittels Brandrodung in landwirtschaftlich nutzbares Land, meist Weideland für Vieh, umgewandelt. Und wieder klingelt die Kasse, denn das Grundstück kann jetzt zu einem höheren Preis verkauft werden. Entscheidet sich der Landbesitzer dazu, Vieh auf seinem Grundstück zu züchten, kann er damit auch Geld verdienen. Auf drei Hektar (30.000 Quadratmeter) können etwa zwei Rinder gehalten werden. Diese Art der Viehzucht ist extrem flächenintensiv.
Im Amazonasgebiet ist diese Form der Regenwaldzerstörung immer noch vorherrschend, und Landspekulationen sind weiterhin ein lukratives Geschäft. Im nördlichen Teil Brasiliens sind die Landpreise im Jahr 2013 um durchschnittlich 25% gestiegen. In der Nähe von Straßen, insbesondere um den Soja-Highway BR-163, sind die Landpreise sogar um durchschnittlich 50% gestiegen. Zum Vergleich: Im Rest des Landes sind die Landpreise im selben Zeitraum um durchschnittlich 15% gestiegen. Schätzungen zufolge könnten zwischen 9% und 13% der Amazonasregion möglicherweise Gegenstand von Landspekulationen sein.
Die Landbesitzer sind oftmals nicht wirklich an langfristigen wirtschaftlichen Aktivitäten auf ihren Grundstücken interessiert und kümmern sich deswegen nicht um den Erhalt der Viehweiden nach der ersten Rodung. Für sie ist es einfacher neue Waldflächen zu roden und die verlassenen Grundstücke den Großgrundbesitzern für den industriellen Sojaanbau zu überlassen – ein Teufelskreislauf. Werden die verlassenen Grundstücke hingegen nicht mehr landwirtschaftlich genutzt, können sich die Wälder regenerieren und nachwachsen. Diese Wälder sind allerdings nicht mit den ursprünglich vorhandenen Regenwäldern und ihrer einzigartigen Artenvielfalt vergleichbar, zu groß sind die durch die Rodungen verursachten Schäden.
Durch die ungerechte Landverteilung werden in Brasilien viele Millionen Menschen in die Amazonas-Regenwälder gedrängt. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 haben sich rund 1,8 Millionen Migranten in den Amazonasstaaten niedergelassen. Ein großer Teil des in Amazonien produzierten Rindfleisches und Sojas geht in den Export – Export statt Eigenversorgung. Die Exporterlöse wandern häufig in die Taschen mächtiger Großindustrieller, die häufig bestens mit der lokalen Politik vernetzt sind. Weil auf den hoch technisierten Soja-Farmen kaum Arbeitskräfte gebraucht werden, steigt die Arbeitslosigkeit, gefolgt von Armut und Hunger. So ist auch wenig erstaunlich, dass knapp die Hälfte der Menschen am Amazonas (Amazônidas) unterhalb der Armutsgrenze lebt. Die wirtschaftliche Nutzung im brasilianischen Teil Amazoniens beruht seit mehr als 50 Jahren auf Brandrodung um Flächen für Landwirtschaft zu schaffen. Trotzdem ist es bisher keiner brasilianischen Regierung gelungen, den Wohlstand oder die Lebensqualität der Amazônidas zu verbessern.
Indigene Gemeinschaften
Jahrtausende bevor Südamerika entdeckt wurde, lebten bereits Menschen in indigenen Gemeinschaften in Amazonien, das sich heute über die Staatsgebiete von Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guayana, Kolumbien, Peru, Surinam, Venezuela und das französische Überseedepartment Französisch-Guayana erstreckt. Schätzungsweise 1,7 Millionen Menschen leben heute in 375 indigenen Gemeinschaften in Amazonien, wie zum Beispiel die Guaraní, die Mundurukú und die Yanomami. Sie leben verteilt in 3.344 indigenen Gebieten und 522 Naturschutzgebieten, die zusammengenommen mehr als die Hälfte der Fläche Amazoniens abdecken.
Trotzdem bleiben die Rechte und insbesondere auch die Landrechte indigener Gemeinschaften in weiten Teilen der Region zweideutig und unsicher. Während fast 87% der indigenen Gebiete irgendeine Form der rechtlichen Anerkennung haben, liegen fast ein Viertel der staatlichen Konzessionen für Bergbau und Erdölförderung in indigenen Gebieten. Durch diese Entwicklung werden die indigenen Gemeinschaften existenziell bedroht, und es bedeutet, dass die rechtliche Anerkennung möglicherweise nicht mehr ausreicht, um die Rechte der indigenen Gemeinschaften in der gesamten Region zu schützen.
Die brasilianische Regierung hat unter Präsident Jair Bolsonaro Anfang 2019 den Schutz indigener Gemeinschaften eingeschränkt, indem sie den Prozess der Anerkennung indigener Landrechte eingefroren und einige indigene Gebiete für Landwirtschaft und Bergbau geöffnet hat. Zudem wurden Regierungsbehörden geschwächt, die mit der Verwaltung von indigenen Gebieten und Naturschutzgebieten beauftragt sind. Seitdem Bolsonaro an der Macht ist, hat diese entwicklungsorientierte Politik eine neue Welle von Landraub und Landspekulationen ausgelöst, die im Zusammenhang steht mit den massiven Brandrodungen in Amazonien.
Überbevölkerung – Indonesien
Überbevölkerung ist ein weiterer Grund, weswegen Menschen ihre Heimat verlassen und tiefer in die tropischen Regenwälder vordringen. Java, mit der indonesischen Hauptstadt Jakarta, ist mit 870 Einwohnern pro Quadratkilometer extrem dicht besiedelt. Zum Vergleich, in Deutschland lebten im Jahr 2018 durchschnittlich 237 Menschen pro Quadratkilometer. Die indonesische Regierung hat darauf reagiert und ab dem Jahr 1982 ein Programm zur Massenumsiedlung (transmigrasi) aufgelegt. Fünf Millionen Menschen wurden bis ins Jahr 1989 auf umliegende, weniger dicht bewohnte Inseln umgesiedelt – fünf Millionen Menschen, die jetzt zusätzlich versuchen, im empfindlichen Ökosystem Regenwald Landwirtschaft zu betreiben.
www-Tipp
- „Uneven Ground – Land Inequality at the Heart of Unequal Societies“, Welthungerhilfe und Oxfam, 2020
Forschung
- S. Kraus et al.: No aggregate deforestation reductions from rollout of community land titles in Indonesia yet. PNAS, 2021.
- W.S. Walker et al.: The role of forest conversion, degradation, and disturbance in the carbon dynamics of Amazon indigenous territories and protected areas. PNAS, 2020.
- M.G. Ceddia: The impact of income, land, and wealth inequality on agricultural expansion in Latin America. PNAS, 2019.
- G. Sparovek et al.: Who owns Brazilian lands? Land Use Policy, 2019.
- A. Rodrigues et al.: Boom-and-Bust Development Patterns Across the Amazon Deforestation Frontier. Science, 2009.
Presse
- Rekordbrände fressen Regenwald auf, tagesschau.de, 14.09.2022.
- Indigene setzen sich durch, TAZ Online, 10.09.2021.
- Landraub im brasilianischen Regenwald: Leben im Schatten von Gewalt, DW Online, 13.02.2020.
- Em ‚dia do fogo‘, sul do PA registra disparo no número de queimadas. Folha de S. Paulo, 14.03.2019.
- Rodung ohne Weitblick, Süddeutsche Zeitung Online, 12.06.2009.
- Abholzen für nichts und wieder nichts, Focus Online, 12.06.2009.
- Pedro, der Sklave, Tagesspiegel 16.09.2007.
- Auf dem Holzweg, Die Zeit Online, 18.08.2005.