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Zerstörung tropischer Regenwälder
Artensterben – die Vielfalt des Lebens auf der Erde schwindet
Es gehört zum Leben auf der Erde dazu, dass Arten aussterben und neue Arten erscheinen. Für das Artensterben der letzten Jahrzehnte ist allerdings der Mensch mit seinem zerstörerischen Einfluss verantwortlich. Die Rote Liste erfasst gefährdete Arten, gibt aber ein unvollständiges Bild der tatsächlichen Situation wieder.
In den letzten 450 Millionen Jahren gab es auf der Erde fünf große Massensterben, bei denen jeweils bis zu 95% aller Arten ausgelöscht wurden. Verantwortlich waren Umweltkatastophen, wie zum Beispiel Vulkanausbrüche, Sauerstoffmangel in den Weltmeeren oder Meteoriteneinschläge. Das fünfte Massensterben der Erdgeschichte hat sich vor 66 Millionen Jahren ereignet, als ein Meteoriteneinschlag im Golf von Mexiko 75% aller Arten auf der Erde ausgelöscht hat – die prominentesten Opfer waren sicherlich die Dinosaurier. Nach dieser Katastrophe dauerte es 12 Millionen Jahre bis sich die Artenzahlen wieder auf dem Niveau einpendelten, das dem vor der Katastrophe entsprach. Heute leben etwa 2% aller Arten, die es jemals auf der Erde gab. Trotzdem ist ihre absolute Zahl (schätzungsweise zwischen 5 und 10 Millionen Arten) heute größer als je zuvor in der Erdgeschichte.
Das Aussterben von Arten war aber schon immer ein Teil des Lebens auf der Erde und ist das ultimative Schicksal aller Arten. Eine Art gilt als gefährdet, wenn es nur noch weniger als 1.000 Exemplare dieser Art auf der Erde gibt. Von einer ausgestorbenen Art gibt es kein lebendes Exemplar mehr. Und ausgestorbene Arten sind für immer verloren, dessen muss man sich bewusst sein.
Die natürliche Aussterberate
Die natürliche Rate für das Aussterben von Arten lässt sich wie folgt schätzen:
- die meisten Arten exisitieren wahrscheinlich 1 bis 10 Millionen Jahre,
- es gibt schätzungsweise zwischen 5 und 10 Millionen Arten auf der Erde (von denen viele noch unbekannt sind),
- daraus folgt, dass etwa 1 bis 10 Arten pro Jahr auf natürliche Weise aussterben.
Das natürliche Aussterben von Arten muss nicht unbedingt nachteilig sein für die Natur, schließlich begann nach dem Ende der Dinosaurier der Siegeszug der Blütenpflanzen, Insekten und Säugetiere, der sich bis heute in einer sagenhaften Artenvielfalt manifestiert hat. Schätzungsweise zwei Drittel der heute bekannten 1,89 Millionen Arten sind in den tropischen Regenwäldern beheimatet.
Schätzungen zu den Artenverlusten
Biologen befassen sich seit den 1980er-Jahren mit dem Verschwinden der Arten, weil seither ein besorgniserregender Rückgang der Artenvielfalt zu beobachteten ist. Es ist bereits die Rede vom sechsten Massensterben der Erdgeschichte, für das zweifelsohne der Mensch verantwortlich ist. Der negative Einfluss des Menschen zeichnet sich aus durch Umweltverschmutzung, Einschleppung gebietsfremder Arten, Überfischung, Rodungen, Umwandlung von Landschaften und andere Faktoren.
Edward O. Wilson schätzte in den 1990er-Jahren, dass die Erde 0,25% ihrer verbleibenden Arten pro Jahr verliert, was bedeutet, dass jährlich mindestens 12.000 Arten aussterben könnten – das wären mehr als 30 Arten pro Tag. Die Schätzungen von Wilson berücksichtigen, dass viele Arten bereits verschwunden sein könnten, noch bevor sie überhaupt identifiziert und untersucht werden konnten. Neuere Schätzungen aus dem Jahr 2015 gehen davon aus, dass bereits 7% aller Arten ausgestorben sein könnten, das wären 130.000 Arten.
Landwirtschaft bedroht Artenvielfalt
Landwirtschaft ist die größte Bedrohung für die Artenvielfalt – sowohl in den Tropen als auch in Europa. Mehr als drei Viertel aller tropischen Regenwälder werden zerstört für die Weidelandnutzung für die Rindfleischerzeugung (Viehzucht) und Ackerlandnutzung für Palmöl und Sojabohnen.
Die Rote Liste der Gefährdeten Arten
Die Weltnaturschutzunion (The International Union for Conservation of Nature, IUCN) ist ein Dachverband, in dem 1.400 Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen zusammengefasst sind. Sie wird beraten von mehr als 15.000 Experten weltweit. Ziel der IUCN ist es, die Natur und ihre Vielfalt zu bewahren und Maßnahmen zu ihrem Schutz zu ergreifen. Die Rote Liste der Gefährdeten Arten der IUCN (kurz: Rote Liste) ist der weltweit am häufigsten verwendete Index, um Aussagen zum Gefährdungsgrad bedrohter Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen zu treffen und um Schutzmaßnahmen einleiten zu können. Mit 116.000 Arten wurden bisher erst knapp 7% aller bekannten 1,89 Millionen Arten in die Rote Liste aufgenommen, darunter Säugetiere, Amphibien, Vögel, Riffkorallen und Nadelbäume.
Die Arten werden auf Antrag in einem komplizierten, mehrstufigen Prozess bewertet und gegebenenfalls der Roten Liste zugefügt. Die Aufnahmekriterien erfordern zuverlässige Daten zu geografischer Verbreitung, Bevölkerungsentwicklung, Bedrohung, Lebensraum und Ökologie der aufzunehmenden Art.
Bis ins Jahr 2022 soll die Zahl der in die Rote Liste aufgenommenen Arten auf 160.000 erhöht werden. Im ersten Halbjahr 2021 waren es etwa 135.000. Gemäß der Roten Liste aus dem Jahr 2020 sind vom Aussterben bedroht:
- 41% der Amphibienarten,
- 34% der Nadelbaumarten,
- 33% der Riffkorallenarten,
- 25% der Säugetierarten und
- 14% der Vogelarten.
Die Rote Liste führt im selben Jahr 793 Tier- und 160 Pflanzenarten, die als ausgestorben gelten. Die meisten davon sind Schnecken (253 Arten), gefolgt von den Vögeln (159 Arten) und Säugetieren (83 Arten). Bei den Pflanzen sind es hauptsächlich Blütenpflanzen (133 Arten) aus der Gattung der Glockenblumengewächse (20 Arten).
Ungenauigkeit der Roten Liste
Die Rote Liste eignet sich gut um auf den Gefährdungsgrad auffälliger und charismatischer Arten (hauptsächlich Landwirbeltiere) hinzuweisen, zum Beispiel Berggorilla, kalifornischer Kondor oder Java-Nashorn. Fast alle Säugetier- und Vogelarten der Erde sind in der Roten Liste gründlich bewertet und dokumentiert worden. Deshalb ist die in der Roten Liste angegebene Zahl von 1,3% ausgestorbener Säugetier- und Vogelarten wahrscheinlich ziemlich genau.
Allerdings berücksichtigt die Rote Liste mit 16.000 Arten nur verhältnismäßig wenige Arten wirbelloser Tiere. Zu den Wirbellosen gehören zum Beispiel Schnecken und Insekten mit über einer Million bekannter Arten. Die wirbellosen Arten, die den Aufnahmeprozess der Roten Liste durchlaufen haben, gehören wiederum zu den relativ auffälligen und gut untersuchten Gruppen, wie zum Beispiel Schmetterlingen, Libellen, Riffkorallen und bestimmten Schnecken.
Die überragende Mehrheit der unauffälligen Wirbellosen wird nicht in der Roten Liste erfasst, womit auch die Anzahl ausgestorbener und bedrohter wirbelloser Arten unterschätzt wird. Das bedeutet, dass das Aussterben von Wirbellosen größtenteils übersehen wird – sie sterben still und unbemerkt. Deswegen liegen die oben genannten Zahlen, wonach 7% aller Arten ausgestorben sind, wahrscheinlich näher an der Wahrheit als die 1,3%, die in der Roten Liste genannt werden.
UN-Biodiversitätskonferenz
Im Jahr 2010 wurde von der Biodiversitätskonvention (Convention on Biological Diversity, CBD) in Nagoya in der japanischen Provinz Aichi der „Strategische Plan für Biodiversität 2011 – 2020“ beschlossen. Die Ökosysteme der Erde sollten bis ins Jahr 2020 widerstandsfähig gemacht werden, damit sie künftig weiterhin Ökosystemleistungen für den Planeten und die gesamte Menschheit erbringen können. Experten bezweifeln, dass die Ziele des Plans erreicht wurden.
Im Oktober 2021 versammelten sich die führenden Politiker der Welt virtuell um auf dem ersten Teil der UN-Biodiversitätskonferenz neue Ziele für den Artenschutz festzulegen. Der zweite Teil der Konferenz findet von 25. April bis 8. Mai 2022 vor Ort in Kunming, Guizhou, China, statt. Zu den Zielen der UN-Biodiversitätskonferenz gehören die Ausweitung von Schutzgebieten an Land und in den Meeren auf 30%, ein verringerter Düngemittel- und Pestizideinsatz, Kontrolle und Ausrottung invasiver (gebietsfremder) Arten und weltweite Klimaschutzbemühungen. Zudem sollen Subventionen reduziert werden, die im Verdacht stehen für die Biodiversität schädlich zu sein, was hauptsächlich in der Landwirtschaft der Fall ist.
Ausgestorbene und gefährdete Wirbeltiere
Schätzungen aus dem Jahr 2020 zufolge sind mehr als 400 Wirbeltierarten in den letzten 100 Jahren ausgestorben. Die bekanntesten sind der Dodo (Raphus cucullatus, im 17. Jahrhundert ausgestorben), die Stellers Seekuh (Hydrodamalis gigas, im 18. Jahrhundert ausgestorben) und die Rodrigues-Riesenschildkröte (Cylindraspis peltastes, im 19. Jahrhundert ausgestorben). Ohne den Einfluss des Menschen hätte das Aussterben dieser Arten im Verlauf der „normalen“ Evolution 10.000 Jahre oder länger gedauert. Die durch den Menschen verursachte Aussterberate liegt konservativen Schätzungen zufolge um den Faktor 8 bis 100 mal höher als die natürliche Aussterberate.
Wenigstens 515 Wirbeltierarten scheinen heute vom Aussterben bedroht, das bedeutet, es gibt noch weniger als 1.000 Exemplare von der jeweiligen Art. Darunter das Sumatra-Nashorn (Dicerorhinus sumatrensis), der Clariónzaunkönig (Troglodytes tanneri), die Galapagos-Riesenschildkröte (Chelonoidis hoodensis) und der Harlekinfrosch (Atelopus varius). Erfreulicherweise gibt es wieder mehr als 1.000 Berggorillas, weswegen ihr Status in der Roten Liste von „kritisch gefährdet“ auf „gefährdet“ zurückgestuft wurde.
Artensterben in Deutschland
Im März 2019 wurde in Deutschland das Rote-Liste-Zentrum gegründet, das die Erstellung der Roten Liste im Auftrag des Bundesamts für Naturschutz koordiniert. In der Roten Liste wird der Gefährdungsgrad von über 30.000 Arten von Tieren, Pflanzen und Pilzen in Deutschland erfasst. Was den Schutz der einheimischen Arten betrifft, gibt Deutschland nicht das beste Beispiel. Gemäß der Roten Liste sind in Deutschland 33% der Wirbeltierarten, 34% der wirbellosen Tierarten, 31% der Pflanzenarten und 20% der Pilz- und Flechtenarten gefährdet.
www-Tipps
- What you need to know about the UN Biodiversity Conference. UN, 11.10.2021.
- Key Elements of the Strategic Plan 2011-2020, including Aichi Biodiversity Targets – CBD
- IPBES – Weltrat für biologische Vielfalt
- IUCN – Weltnaturschutzunion
- Rote Liste der IUCN
- Rote-Liste-Zentrum des BfN
Forschung
- T.A. Neubauer et al.: Current extinction rate in European freshwater gastropods greatly exceeds that of the late Cretaceous mass extinction. Communications Earth & Environment, 2021.
- G. Ceballos et al.: Vertebrates on the brink as indicators of biological annihilation and the sixth mass extinction. PNAS, 2020.
- R. van Klink et al.: Meta-analysis reveals declines in terrestrial but increases in freshwater insect abundances. Science, 2020.
- C. Régnier et al.: Mass extinction in poorly known taxa. PNAS, 2015.
- G. Ceballos et al.: Accelerated modern human–induced species losses: Entering the sixth mass extinction. ScienceAdvances, 2015.
- A.D. Barnosky et al.: Has the Earth’s sixth mass extinction already arrived? Nature, 2011.
Buchtipps
- Josef H. Reichholf, Das Ende der Artenvielfalt? Fischer-Verlag, 2008.
- Edward O. Wilson: The Diversity of Life, 1993.
Presse
- Eine Obergrenze für das Artensterben, FAZ Online, 09.07.2020.
- In den vergangenen 30 Jahren ist jedes vierte Insekt an Land gestorben, Spiegel Online, 24.04.2020.
- Vogelsterben gefährdet Bäume in Regenwäldern, FAZ Online, 20.04.2020.
- Klimawandel am Amazonas – Gefahr für die Artenvielfalt, Deutschlandfunk Kultur Online, 29.08.2019.
- Eine Million Arten vom Aussterben bedroht, Spiegel Online, 06.05.2019.
- „Bedrohung für das Wohlergehen der Menschheit“, Süddeutsche Zeitung Online, 29.04.2019
- Augen auf und durch? FAZ Online, 05.04.2018.
- Artensterben: Jedes Jahr verschwinden bis zu 58.000 Tierarten, Spiegel Online, 25.07.2014.
- Amazonas: Tod der Giganten macht Pflanzenwelt zu schaffen, Spiegel Online, 12.08.2013.
- Neuer Uno-Rat tritt zur Artenrettung an, Spiegel Online, 21.01.2013.
- Das Artensterben im Amazonas lässt auf sich warten, Zeit Online, 12.07.2012.
- Menschheit beschleunigt neue Arten-Apokalypse, Spiegel Online, 03.03.2011.
- Die Natur ist ein gutes Geschäft, Focus Online, 22.11.2010.
- Artenreichtum wird rapide schwinden, Focus Online, 05.08.2010.
- Pro Jahr sterben rund 30.000 Arten aus, Welt Online, 20.03.2010.
- Biokraftstoff schadet Artenvielfalt, Handelsblatt, 10.07.2008.
- Rindfleischimporte für den Naturschutz, Stern Online, 23.05.2008.
- Was kümmert uns die Artenvielfalt? Focus Online, 16.05.2008.
- Ein Kommen und Gehen, Welt Online, 31.03.2007.