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Faszinierende Artenvielfalt
Artenvielfalt – Reichtum der tropischen Regenwälder
Tropische Regenwälder sind eine Wiege der Artenvielfalt. Alexander von Humboldt war der erste Mensch, der ihre einzigartige Vielfalt erkannt hat. Etwa 1,89 Millionen Tier- und Pflanzenarten sind bekannt, von denen zwei Drittel in den tropischen Regenwäldern vermutet werden.
Mit dem Begriff Artenvielfalt wird angegeben, wie viele Tier-, Pflanzen- und Pilzarten in einem bestimmten Lebensraum vorkommen, sei es in einem Kastanienbaum, auf einer Wiese, in Deutschland, in den tropischen Regenwäldern am Amazonas oder gar auf der Erde. Artenvielfalt und biologische Vielfalt (Biodiversität) sollten nicht wortgleich verwendet werden, ist die Artenvielfalt doch ein Teil der biologischen Vielfalt. Die biologische Vielfalt umfasst zusätzlich zur Artenvielfalt die genetische Vielfalt und die Vielfalt an verschiedenen Lebensräumen wie tropischen Regenwäldern, Gebirgslandschaften, Küstenregionen, Savannen und Wüsten.
Hotspots der Artenvielfalt
Die Arten sind nicht gleichmäßig auf der Erde verteilt. Tropische Regenwälder gehören, wie auch der Mittelmeerraum, zu den so genannten Hotspots der Artenvielfalt, in denen außergewöhnlich viele verschiedene Arten zusammen leben. Erstaunlicherweise sind viele Ökosysteme, denen es an Nährstoffen im Boden mangelt, besonders artenreich.
Der Berliner Naturforscher Alexander von Humboldt (* 14. September 1769 in Berlin, † 6. Mai 1859) war der erste Mensch, der die Artenvielfalt der tropischen Regenwälder erkannt hat. Noch nie hat es im Verlauf der Erdgeschichte so viele verschiedene Arten gegeben wie heute. Ob das so bleibt, hängt davon ab, ob es der Menschheit gelingt, die Artenvielfalt zu erhalten.
Schätzungen zur Zahl der bekannten Arten auf der Erde
Bei der Zahl der derzeit bekannten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten auf der Erde gehen die Schätzungen auseinander. In einer Studie aus dem Jahr 2011 wird von 1,2 Millionen bekannten Arten ausgegangen. Eine andere Studie aus dem Jahr 2013 geht von 1,9 Millionen Arten aus. Der „Catalogue of Life“ (CoL) ist wahrscheinlich der umfangreichste Katalog mit Informationen zu den derzeit weltweit bekannten Arten. Im Jahr 2020 wird darin die Zahl der bekannten Tier-, Pflanzen- und Pilzarten mit etwas mehr als 1,89 Millionen angegeben.
Nicht alle Arten sind so prominent wie Tiger, Tukan und Tapir. Die meisten bekannten Arten zählen zur Klasse der Insekten (939.653 Arten) und gehören zu den Käfern, Bienen, Fliegen oder Wanzen und sind deutlich unscheinbarer. Pflanzen sind mit etwa 370.236 Arten vertreten. Der Anteil der Wirbeltiere (Chordata) an der Gesamtzahl ist mit 71.657 Arten vergleichsweise klein.
Schätzungen zur vermuteten Artenzahl auf der Erde
Eine der grundlegenden Fragen der Wissenschaft ist: Wie viele Arten gibt es auf der Erde? Es gibt darauf keine Antwort, weil eine direkte Bestimmung des globalen Artenreichtums nicht möglich ist und indirekte Schätzungen auf kontrovers diskutierten Annahmen beruhen. Nach mehr als sechs Jahrzehnten Forschung, gehen die Schätzungen heute immer noch weit auseinander. Einige Schätzungen gehen von 0,5 bis 10 Millionen Arten aus, andere wiederum von 20 bis 30 Millionen, auch 100 Millionen Arten wurden schon genannt.
Die extrem hohen Schätzzahlen scheinen heute nicht mehr zeitgemäß, obwohl sie nicht ohne weiteres widerlegt werden können. In einer Studie aus dem Jahr 2011 wird die Zahl der auf der Erde vorkommenden Tier-, Pflanzen- und Pilzarten auf 8,7 Millionen geschätzt, wobei 6,5 Millionen landgebunden sind und 2,2 Millionen in den Ozeanen vorkommen. Ausgehend von dieser Zahl und einer Schwankungsbreite von 1,3 Millionen, scheint eine Zahl im Bereich zwischen 5 und 10 Millionen Arten auf der Erde als weitgehend anerkannt. Bei geschätzten 8,7 Millionen Arten auf der Erde und aktuell 1,89 Millionen bekannten Arten wären knapp 80% aller Arten noch unentdeckt. Weil ihre Entdeckung noch im Dunkeln liegt, werden die unbekannten Arten auch als „Dark Taxa“ bezeichnet.
Dabei wäre es möglich, exakte Daten zu erheben. Wissenschaftler haben im Jahr 2013 ausgerechnet, dass es 50 Jahre lang nur 500 Millionen bis 1 Milliarde Dollar pro Jahr kosten würde, um die meisten Arten auf der Erde zu beschreiben. Das ist wenig, verglichen mit den jährlichen Militärausgaben der führenden Industrienationen. Ziel muss es sein, einen vollständigen Katalog des Lebens zu erhalten, in dem alle Arten erfasst sind. Schließlich hat sich die Menschheit verpflichtet, Arten vor dem Aussterben zu bewahren – aber wie soll das Artensterben beendet werden, ohne eine Vorstellung zu haben, wie viele es überhaupt gibt bzw. wie viele vielleicht schon wieder verschwunden sein werden, ohne jemals entdeckt worden zu sein?
Artenvielfalt heute
Obwohl es in den letzten 450 Millionen Jahren fünf Massensterben gab, bei denen jeweils 70% bis 95% der früher existierenden Pflanzen-, Tier- und Mikroorganismenarten zerstört wurden, hat sich das Leben erholt und vermehrt. Von allen jemals auf der Erde im Lauf der Jahrmillionen lebenden Arten, leben heute schätzungsweise nur 2%. Trotzdem ist die absolute Zahl der Arten heute größer als je zuvor. Das heißt, derzeit ist das Leben auf der Erde (noch) vielfältiger als jemals zuvor in der Erdgeschichte.
Schätzungen zur Artenzahl in den tropischen Regenwäldern
Niemend weiß genau, wie viele Arten bereits bekannt sind, geschweige denn, wie viele Arten noch unbekannt sind. Dementsprechend gehen auch die Schätzungen zu den in den tropischen Regenwäldern vorkommenden Arten auseinander. Niedrige Schätzungen gehen von der Hälfte aller Arten aus, höhere Schätzungen von 90%. In seinem Aufsatz aus dem Jahr 1988 geht Peter H. Raven davon aus, dass etwa zwei Drittel aller Arten in den tropischen Regenwäldern vorkommen. Diese Angabe wird auch heute noch von Wissenschaftlern in aktuellen Studien zitiert.
Untersuchungen zum Artenreichtum von Primärwäldern, Sekundärwäldern und Plantagen in Amazonien haben gezeigt, dass 25% der untersuchten Arten ausschließlich in Primärwäldern vorkamen. Zudem kamen 60% der untersuchten Baum- und Lianengattungen nur in Primärwäldern vor. Primärwälder sind vom Menschen weitgehend unberührte Wälder.
Die Verletzbarkeit der Vielfalt
Das Geheimnis tropischer Vielfalt liegt verborgen in der Seltenheit ihrer Arten. Eine Faustregel für Insekten lautet: Es ist viel leichter zehn verschiedene Schmetterlingsarten in tropischen Regenwäldern zu finden als zehn Schmetterlinge einer Art – ausgenommen sind staatenbildende Insekten wie Ameisen und Termiten.
Und in dieser Seltenheit liegt die Verletzbarkeit (Vulnerabilität) der tropischen Artenvielfalt. Das heißt, viele Arten sind in ihrer Ausbreitung auf kleine Gebiete beschränkt, zum Beispiel auf wenige Bäume einer begrenzten Region am Amazonas. Wird der Regenwald in dieser Region zerstört, sterben mit ihm auch viele der darin lebenden Arten. Kam eine Art nur in dieser begrenzten Region vor (Endemismus), ist sie für immer verloren. Zudem geht mit jeder Art ein Teil der genetischen Vielfalt der Erde verloren.
Die Explosion der Arten in den tropischen Regenwäldern
Wie es zur Explosion der Arten in den tropischen Regenwäldern kam, lässt sich nicht ohne weiteres klären. In jedem Fall fördern die gleichbleibend hohen Temperaturen in der Nähe des Äquators die Entstehung von Arten. Es existieren mehrere wissenschaftliche Theorien, die den enormen Artenreichtum der Tropen zu erklären versuchen. Zwei Theorien sollen hier näher betrachtet werden:
- Regenwaldinseln
In der ersten Theorie wird die Bildung sogenannter ökologischer Inseln durch Trockenheit favorisiert. In niederschlagsarmen Perioden der Erdgeschichte, also insbesondere zu Zeiten starker Vergletscherungen während der Eiszeiten, schrumpften die Regenwaldflächen. Sie zerfielen in kleine, voneinander isolierte ökologische Fragmente, sogenannte Regenwaldinseln, die räumlich nicht mehr miteinander verbunden waren. Diese Fragmentierung der Regenwaldflächen blieb natürlich nicht folgenlos für die darin lebenden Arten. Zusammengedrängt und isoliert, kam es in der Enge der Regenwaldinseln zu erbitterten Überlebenskämpfen, den viele Arten nicht überlebten. Durch diesen Stress erhöhte sich das Tempo der Evolution und neue Arten entstanden viel schneller als sonst, weil die geografisch isolierten Populationen schon in kurzer Zeit eigenständig wurden – Regenwaldinseln als Beschleuniger der Evolution. In den feuchteren und wärmeren Zwischeneiszeiten haben sich die neuen Arten dann mit dem expandierenden Regenwald ausgebreitet. Bezogen auf das ursprüngliche Gebiet, ist die Artenvielfalt jetzt größer. - Ständiger Wandel
In der zweiten Theorie wird die hohe Biodiversität in den Tropen dadurch zu erklären versucht, dass der Regenwald sich ständig im Wandel befinde und räumlich alles andere als homogen sei. Tier- und Pflanzengemeinschaften verändern sich mit diesen örtlichen Gegebenheiten, zum Beispiel wenn ein Fluss sich ein neues Bett sucht oder Dauer und Menge der Niederschläge im Verlauf des Jahres variieren.
Nährstoffmangel und Tropenklima begünstigen die Artenvielfalt
Begünstigt wird die Entstehung der Arten durch den Mangel an Nährstoffen, der in den tropischen Regenwäldern herrscht. Die Böden sind extrem ausgelaugt und nährstoffarm, so kann sich keine Art gegen andere Arten entscheidend durchsetzen. Der Nährstoffmangel verhindert, dass sich einzelne Arten massiv vermehren und ausbreiten können.
In den gemäßigten Breiten sind die Böden reich an Nährstoffen, die übermäßige Düngung in der Landwirtschaft erhöht den Nährstoffgehalt zusätzlich. Diese Bedingungen führen zu hoher Produktivität auf den Feldern bei gleichzeitig geringer Artenvielfalt. In der Regel können sich wenige Arten durchsetzen, die an diese nährstoffreichen Bedingungen gut angepasst sind. Sie wachsen schnell und verdrängen die weniger gut angepassten Arten.
Die Entstehung von Arten hängt maßgeblich vom Klima ab. Je mehr Wasser und Wärme ein Ort zu bieten hat, desto mehr Arten können dort existieren. Topographische Faktoren und historische Einflüsse spielen auch eine wichtige Rolle, ihr Einfluss ist aber weniger wichtig.
Vielfalt gewinnt immer – das erfolgreiche Zusammenspiel der Arten
Eine Fußballmannschaft kann nur erfolgreich sein, wenn die einzelnen Spieler auf bestimmte Spielpositionen spezialisiert sind. Sprich, der Stürmer schießt Tore, der Torhüter verhindert sie, und der Mittelfeldspieler organisiert das Spiel – nur zusammen sind sie erfolgreich. Eine Fußballmannschaft, die nur aus Torhütern bestünde, wäre sicherlich nicht so erfolgreich.
Und so verhält es sich auch mit den Arten. Viele von ihnen sind hoch spezialisiert und leben in verschiedenen Nischen. Zusammen bilden sie den lebendigen Teil des komplexen Ökosystems tropischer Regenwald – Artenvielfalt gewinnt immer! Werden Ökosysteme gestört, können sich einzelne Arten ungebremst vermehren. Die Massenvermehrung der Borkenkäfer in den gemäßigten Breiten ist hierfür ein Beispiel.
Experimentelle Bestimmung der Artenzahl
Viele Schätzungen werden an der Gruppe der Gliederfüßler (Arthropoden) durchgeführt, zu der auch die Klasse der Insekten gehört. Es ist die weitaus artenreichste Gruppe, die die anderen Gruppen zahlenmäßig in den Hintergrund drängt. Der amerikanische Insektenkundler Professor Terry Erwin war einer der ersten, der die Bedeutung der Kronenregion tropischer Regenwälder erkannte.
Erwin untersuchte im Jahr 1982 die Käfer-Fauna (rund 35% aller Insektenarten gehören zu den Käfern) in den Tropen. Dabei vernebelte er Bäume der Art Luehea seemannii (verwandt mit unseren Linden) mit einem pflanzlichen Insektizid im tropischen Regenwald von Panama. Dann sammelte er die toten, herabgefallenen Insekten ein und identifizierte diese.
Aus den Daten hat Erwin errechnet, dass etwa 160 Käferarten in den Kronen dieser einen Baumart leben. Von den Käfern ausgehend, schloss er auf 400 Insektenarten in den Wipfeln dieser Baumart. Und weil am Stamm auch Insekten leben, besiedeln nach Erwin etwa 600 Insektenarten eine Baumart in den Tropen. Es gibt schätzungsweise 50.000 tropische Baumarten, von denen viele unbekannt sind. Multipliziert mit 600 ergibt das eine Zahl von 30 Millionen Insektenarten allein auf den Bäumen tropischer Regenwälder.
Forschungsergebnisse aus neuerer Zeit zeigen, dass Erwins Schätzungen zur Artenzahl möglicherweise zu hoch angesetzt waren.
Artenvielfalt in Deutschland
Knorrige Apfelbäume auf Streuobstwiesen im Südharz sind der Lebensraum von Siebenschläfer, Fledermaus, Ameise, Wildbiene und Grünspecht. Bis zu 50 Tierarten tummeln sich in den Wipfeln und Stämmen der alten Obstbäume. Insgesamt gibt es in Deutschland über 33.000 Insektenarten.
In deutschen Städten leben heute mehr Vogelarten als auf dem Land. So ist Berlin mit seinen Gärten, Teichen und Parks die artenreichste Region Deutschlands. Dagegen sind die Agrarwüsten der landwirtschaftlich genutzten Felder geradezu leergefegt. Das ist Artenvielfalt „Made in Germany“.
Buchtipp
- Josef H. Reichholf: Das Ende der Artenvielfalt? Forum für Verantwortung, Fischer-Verlag, 2008.
www-Tipps
- Institut für Biodiversität – Netzwerk e.V.
- Catalogue of Life.
- Weltrat für biologische Vielfalt (IPBES).
- Global Assessment Report on Biodiversity and Ecosystem Services. IPBES, 2019.
- The Plant List.
- OneZoom – der Baum des Lebens.
Forschung
- W.W. Weisser et al.: Biodiversity effects on ecosystem functioning in a 15-year grassland experiment: Patterns, mechanisms, and open questions. Basic and Applied Ecology, 2017.
- J. Alroy: Effects of habitat disturbance on tropical forest biodiversity. PNAS, 2017.
- X. Giam: Global biodiversity loss from tropical deforestation. PNAS, 2017.
- M. Zakaria et al.: Fauna Diversity in Tropical Rainforest: Threats from Land-Use Change. IntechOpen, 2016.
- M. Costello et al.: Can we name Earth’s species before they go extinct? Science, 2013.
- D. Mouillot et al.: Rare Species Support Vulnerable Functions in High-Diversity Ecosystems. PLoS, 2013.
- C. Mora et al.: How Many Species Are There on Earth and in the Ocean? PLoS Biology, 2011.
- J. Barlow et al.: Quantifying the biodiversity value of tropical primary, secondary, and plantation forests. PNAS, 2007.
- P.H. Raven: Chapter 12 – Our Diminishing Tropical Forests. Biodiversity, 1988.
Presse
- Was kostet die Welt? Spiegel Online, 02.02.2021.
- Kribbeln, krabbeln, kooperieren, FAZ Online, 10.06.2019.
- Der wichtigste Ort der Artenvielfalt auf der Welt, FAZ Online, 06.07.2018.
- Genome der Erde, Zeit Online, 02.05.2018.
- Artenvielfalt hängt sehr von Temperatur ab, n-tv Online, 31.12.2016
- Biodiversität: Seltene Arten helfen Ökosystemen, Spiegel Online, 29.05.2013.
- Die Arten sterben, die Weltgemeinschaft hadert, Zeit Online, 27.10.2010.
- 1200 neue Arten im Amazonas-Regenwald entdeckt, Spiegel Online, 26.10.2010.
- 50 neue Tierarten entdeckt, Focus Online, 25.03.2009.
- Inventur im Regenwald, Zeit Online, 16.02.2009.
- Neue Amphibien entdeckt: Frösche mit durchsichtiger Haut und orangenen Beinen, Focus Online, 02.02.2009.
- Der Genpool schrumpft bedrohlich schnell, Welt Online, 23.04.2008.