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Zerstörung tropischer Regenwälder
Straßenbau – der Regenwald wird geöffnet
Straßen öffnen den Regenwald für die Ausbeutung. Die Hauptanbaugebiete landwirtschaftlicher Produkte, wie zum Beispiel Soja, liegen oftmals in der unmittelbaren Umgebung von großen Straßen. Das erleichtert den Produzenten den Abtransport und senkt die Exportkosten. Straßenbau ist verbunden mit dem Verlust der biologischen Vielfalt und der Vertreibung indigener und nicht-indigener Gemeinschaften.
Der Straßenbau und die Zerstörung tropischer Regenwälder sind eng miteinander verknüpft. Legale und illegale Straßen öffnen den Zugang zu Gebieten, die zuvor isoliert und schwer zu erreichen waren. Sobald ein Gebiet zugänglich ist, kann es von Holzfällern, Landräubern, Kleinbauern, Viehzüchtern, Bergleuten etc. besetzt und ausgebeutet werden. Etwa 95% der Regenwaldzerstörung finden in weniger als fünf Kilometer Entfernung von einer Straße statt.
Mit dem Straßenbau geht biologische Vielfalt verloren, werden indigene Gemeinschaften vertrieben, wird mehr klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (Kohlendioxid) freigesetzt und wird weniger Kohlenstoff in der Vegetation gespeichert. Hinzu kommt, dass asphaltierte Straßen das Land und Grundstücke in den angrenzenden Gebieten wertvoller machen. Großgrundbesitzer kaufen große Landflächen im Umfeld asphaltierter Straßen, weil sie wissen, dass der Wert des Landes erheblich steigen wird, was wiederum Landkonflikte und Landspekulationen schürt und zu weiteren Rodungen führt, um Landbesitz zu etablieren und aufrechtzuerhalten – ein wahrer Teufelskreis.
Straßenbauprogramme
Insbesondere große Straßenbauprogramme gehen oftmals einher mit enormen Regenwaldzerstörungen. Im Rahmen von insgesamt 75 Projekten planen Brasilien, Bolivien, Kolumbien, Ecuador und Peru bis in das Jahr 2025 den Bau oder die Verbesserung von mehr als 12.000 Kilometern Straße in Amazonien, wofür rund 27 Milliarden US-Dollar investiert werden. Dadurch werden bis ins Jahr 2040 schätzungsweise 24.000 Quadratkilometer Regenwald zerstört. Allein durch die vorgesehene Sanierung und Verbesserung der Transamazônica (BR-230) in Brasilien würden bis ins Jahr 2030 etwa 5.610 Quadratkilometer Regenwald gerodet werden.
Die Regenwaldzerstörung in Brasilien erfolgte bis in die 1960er-Jahre eher entlang der Flüsse, die die Haupttransportwege zu den entlegenen Regenwaldgebieten sind. In Peru, Kolumbien und anderen Ländern am Amazonas ist das größtenteils bis heute noch so. Anders in Brasilien, wo sich die Regenwaldzerstörung seit den 1970er-Jahren stark von den Bundesstraßen ausbreitet. Die bekanntesten Straßen in Amazonien sind die Transamazônica (BR-230), die Transoceánica (BR-364) und der „Soja-Highway“ (BR-163):
- Die berühmte Transamazônica erstreckt sich in Brasilien von Osten nach Westen von João Pessoa (Paraíba) am Atlantik über 4.230 Kilometer bis nach Lábrea (Amazonas).
- Die Transoceánica ist 6.200 Kilomter lang und verbindet den Atlantik mit dem Pazifik. Sie führt von Rio de Janeiro (Brasilien) am Atlantik über die Anden bis nach Lima (Peru), das am Pazifik gelegen ist.
- Der Soja-Highway, dessen vollständige Asphaltierung im Jahr 2019 abgeschlossen wurde, ist 3.579 Kilometer lang und durchzieht Amazonien von Süden nach Norden, von Rio Grande do Sul bis Santarém. Er verbindet die Sojaanbaugebiete im südlichen Amazonien mit dem Seehafen am Amazonas.
Brücken über den Amazonas
Tatsächlich führt keine Brücke über den Amazonas. Der Amazonas hat einen stark schwankenden Wasserstand (5 bis 10 Meter) und eine sehr große Überschwemmungsfläche während der Regenzeit. Eine Brücke müsste sehr große Distanzen überwinden, und in den weichen Fluss-Sedimenten müssten die Brückenpfeiler sehr tief verankert werden – das ist technisch zu aufwändig und zu teuer.
Lediglich am Rio Negro, dem größten Seitenarm des Amazonas, verbindet eine 3,6 Kilometer lange Brücke (Ponte Rio Negro oder Ponte Jornalista Phelippe Daou) die Metropole Manaus mit der Gemeinde Iranduba.
Fischgrätenmuster
Die brasilianische Regierung hat ab den 1970er-Jahren ehrgeizige Straßenbau- und Siedlungsprogramme zur wirtschaftlichen Entwicklung Amazoniens aufgelegt, zum Beispiel POLAMAZONIA (1974) und POLONOROESTE (1980). Die Projekte zielten darauf ab, die Wirtschaft anzukurbeln und den in Armut lebenden Menschen in den überfüllten Städten im Nordosten Brasiliens ein besseres Leben in Amazonien zu ermöglichen. Kleinbäuerliche Familien, die sich entlang der Straßen ansiedelten, erhielten in der Regel 100 Hektar Land für die Selbstversorgung um ihren eigenen Lebensunterhalt sicherzustellen. Von diesem Land durften legal 50% gerodet werden. Mit Äxten und Kettensägen haben die Menschen ihr Land gerodet und bewirtschaftet. Meist wurde jedoch mehr als die Hälfte des Landes illegal gerodet, weil die nährstoffarmen tropischen Böden nur schlecht für eine ertragreiche Landbewirtschaftung geeignet sind.
Durch diese Art der Landnutzung entstand das vom Weltraum aus gut zu erkennende, unverwechselbare „Fischgrätenmuster“ entlang der Straßen. Ausgehend von den Hauptstraßen wurden Nebenstraßen (travessões) oft senkrecht in den dichten Regenwald getrieben, von denen aus die unzähligen 100 Hektar großen Grundstücke gerodet wurden. So entsteht das Fischgrätenmuster, das besonders an der Transamazônica deutlich zu erkennen ist. Je größer die einzelnen gerodeten Flächen werden, desto mehr verschmelzen sie mit der Zeit.
Diese Art der Regenwaldzerstörung ist besonders verheerend, weil die Hauptstraßen zuerst tief in den Regenwald einschneiden und sich dann die Nebenstraßen nach außen ausbreiten. Der Regenwald wird zerteilt (fragmentiert), das heißt, es entstehen große, exponierte Randbereiche zwischen gerodetem Land und intaktem Regenwald. Diese Randbereiche sind anfälliger für Wind, Austrocknung und den Zugang des Menschen für Jagd und Wilderei. Durch die dem Fischgrätenmuster folgende Regenwaldzerstörung gehen Lebensraum und Arten viel stärker verloren als bei einzelnen großen Entwaldungsflächen.
Das Ende der Siedlungsprogramme
Mit dem Ende der Siedlungsprogramme hat sich seit Beginn der 1990er-Jahre auch die Art der Rodungen verändert. Fortan waren es nicht mehr nur die kleinbäuerlichen Familien, die mit Äxten und Kettensägen den Wald rodeten. Mit viel Kapital ausgestattete Großgrundbesitzer (meist Viehzüchter) begannen die Regenwälder mit großen Maschinen im industriellen Maßstab zu roden. Die von ihnen erworbenen Grundstücke erstreckten sich oft über Tausende von Hektar. Häufig werden kleinbäuerliche Familien mit Waffengewalt gezwungen, ihre Grundstücke den Großgrundbesitzern zu überlassen. Bei dieser Art der Landnutzung sind die Grundstücke nicht so regelmäßig angeordnet wie bei einem Fischgrätenmuster, sondern eher unregelmäßig.
Infrastruktur als Entwicklung
Trotz negativer ökologischer, sozialer und kultureller Auswirkungen setzen Regierungen und Entwicklungsbanken weiterhin auf den Ausbau des Straßennetzes in Amazonien – Infrastruktur als Entwicklung. Dadurch sollen Arbeitsplätze geschaffen, die Mobilität verbessert, Transportkosten gesenkt und die regionale Entwicklung unterstützt werden. Brasilien hat beispielsweise die Initiative zur Integration der regionalen Infrastruktur ins Leben gerufen, die neun große Straßenbauprojekte in Amazonien umfasst, die bis ins Jahr 2026 mit einer geplanten Gesamtinvestition von 9,4 Milliarden Dollar abgeschlossen sein sollen.
Oftmals wird wenig versucht, die ökologischen, sozialen und kulturellen Auswirkungen solcher Straßenbauprojekte zu bewerten. Viele vorgeschlagene Straßenbauprojekte verfügen nicht über grundlegende wirtschaftliche Machbarkeitsanalysen und berücksichtigen auch nicht potenzielle negative Auswirkungen auf die Umwelt. Dieser Mangel an Informationen überlässt die Entscheidungsfindung für Straßenbauprojekte in vielen Fällen politischen Richtungen ohne die Berücksichtigung der ökologischen, sozialen und kulturellen Folgen.
Vorbild BR-319?
Die Bundesstraße BR-319 verbindet Porto Velho (Rondônia) mit Manaus (Amazonas). Die Straße wurde im Jahr 1973 eröffnet, und zehn Jahre später war sie unpassierbar. Im Jahr 2008 beschloss die brasilianische Regierung, die Straße zu sanieren. Die von der Sanierung betroffenen lokalen Bevölkerungsgruppen (indigene sowie traditionelle, nicht-indigene amazonische Gemeinschaften) erzeugten öffentlichen Druck und schlug vor, neue Schutzgebiete auszuweisen. Die Regierung folgte den Vorschlägen, wodurch die Entwaldung minimiert werden konnte. Derzeit werden Anstrengungen unternommen, um die Straße zu asphaltieren. Um umfangreiche Entwaldungen zu vermeiden, wird ein Raumplanungsprozess unter Beteiligung der lokalen Bevölkerungsgruppen durchgeführt.
www-Tipp
- The Road – Highway BR-163 cuts a brutal path through Brazil’s conflicting ambitions. The Globe and Mail, 2018.
Forschung
- J. Botelho et al.: Mapping Roads in the Brazilian Amazon with Artificial
Intelligence and Sentinel-2. Remote Sensing, 2022. - A. Bebbington et al.: Opinion: Priorities for governing large-scale infrastructure in the tropics. PNAS, 2020.
- T. Vilela et al.: A better Amazon road network for people and the environment. PNAS, 2020.
- C.P. Barber et al: Roads, deforestation, and the mitigating effect of protected areas in the Amazon. Biological Conservation, 2014.
- S. Espinosa et al.: Road Development and the Geography of Hunting by an Amazonian Indigenous Group: Consequences for Wildlife Conservation. PLoS ONE, 2014.
- J. Southworth et al.: Roads as Drivers of Change: Trajectories across the Tri-National Frontier in MAP, the Southwestern Amazon. Remote Sensing, 2011.