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Allgemeines über tropische Regenwälder
Epiphyten – verborgene Vielfalt im Regenwald
Was in Deutschland saftige Streuobstwiesen mit ihrer einzigartigen Artenvielfalt sind, sind in den tropischen Regenwäldern die lichtdurchfluteten Baumkronen der Urwaldriesen mit ihren unzähligen Epiphyten. Epiphyten sind Aufsitzerpflanzen, die auf anderen Pflanzen wachsen.
Der Weg zum Licht
Die einzigartige Vielfalt tropischer Regenwälder findet sich nicht am Urwaldboden. Durch die in Stockwerken geschichteten Baumkronen dringt nur ein Prozent des Sonnenlichts bis hierher vor. Für die meisten Pflanzen ist das zu wenig. Viele Pflanzen haben deshalb ihren Wohnsitz dorthin verlagert, wo es genügend Licht gibt – nach hoch oben in die Baumkronen.
Vom Boden aus lässt sich das Kronendach nur schwer beobachten. Es scheint, als wolle der Regenwald das Geheimnis seiner Vielfalt für sich behalten. Nur wer den beschwerlichen Weg in die Baumkronen geschafft hat, mag die Bedeutung des Kronendachs für die Vielfalt erahnen. Hier tobt das Leben, es wimmelt nur so von Aufsitzerpflanzen (Epiphyten), das sind Pflanzen die auf Pflanzen wachsen. Das Wort Epiphyt ist zusammengesetzt aus epi (auf) und phyton (Pflanze). Die Trägerpflanze wird Phorophyt genannt (phoréō kommt aus dem Griechischen und bedeutet ich trage).
Artenvielfalt
Epiphyten tragen erheblich zur Artenvielfalt tropischer Regenwälder bei. Sie leben hauptsächlich in den Baumkronen und können bis zu 33% aller Pflanzenarten ausmachen. In einigen Regenwäldern können in den Epiphyten 50% aller verfügbaren Nährstoffe gespeichert sein. Wegen der hohen Verfügbarkeit von Wasser in Form von Regen und Nebel sind sie in Bergregenwäldern in Höhen zwischen 1.000 und 1.500 Metern am weitesten verbreitet. In Bergregenwäldern der Neotropis machen Epiphyten bis zu 40% der Biomasse aller Pflanzen, Bäume und Sträucher aus.
Die Neotropis
Die Neotropis, auch südamerikanische Region genannt, ist eine der sechs wichtigsten biogeografischen Regionen der Erde. Sie wurde wegen ihrer charakteristischen Tierwelt definiert und erstreckt sich vom Süden Mexikos über Mittelamerika bis fast an die Südspitze Südamerikas. Der Süden Floridas wird ebenfalls der Neotropis zugeordnet.
Die meisten Epiphyten werden den Orchideen (Orchidaceae), Farnen (Pteridophyta), Aronstabgewächsen (Araceae) und Bromelien (Bromeliaceae) zugeordnet. Es gibt aber auch Kakteen, Moose und Flechten unter ihnen. Die Hälfte der 30.000 Epiphytenarten der Welt ist in der Neotropis heimisch.
Überleben in den Baumkronen
Epiphyten können überleben und gedeihen, weil sie eine Vielzahl von morphologischen, anatomischen und physiologischen Anpassungen für das Leben im Kronendach entwickelt haben. Viele morphologische Strukturen von Epiphyten dienen dazu, an Wasser und Nährstoffe zu gelangen. Dazu gehören zum Beispiel die Trichter und Trichome der Bromelien, die Rhizome von epiphytisch lebenden Farnen oder die Luftwurzeln der Orchideen.
Um Wasser wirkungsvoll aufnehmen zu können, bilden viele Epiphyten dichte Wurzelgeflechte mit einer großen Oberfläche. Weil während der Trockenzeit längere Zeit weniger Wasser verfügbar ist, können viele Epiphyten, wie zum Beispiel die Orchideen, Wasser in den Wurzeln speichern. Andere Epiphyten sammeln Wasser mit ihren Blättern.
Epiphyten beziehen Nährstoffe und Wasser aus der Luft und nutzen das reichlich vorhandene Licht der Sonne für die Photosynthese. Dadurch wird Biomasse aufgebaut. Mit der Zeit entstehen regelrechte Humusschichten aus abgestorbenen Pflanzenteilen und Exkrementen von Tieren auf den Ästen der Urwaldriesen, die Platz für immer neue Epiphyten bieten. Im Epiphyten/Humus-Geflecht finden viele Tiere einen idealen Lebensraum, darunter jede Menge Insekten, wie Käfer, Ameisen, Bienen und Wespen, aber auch Spinnen und Milben. Wenn die Insekten sterben, versorgen sie die Pflanzen zusätzlich mit Nährstoffen.
Im Laufe der Zeit wird das Gewicht des Epiphyten/Humus-Geflechts auf den Ästen der Urwaldriesen immer größer. Insbesondere bei Regen, wenn sich das Geflecht zusätzlich mit Wasser vollsaugt, können die Äste unter dem Gewicht brechen, wodurch die Epiphyten die Trägerpflanzen letztlich doch schädigen.
Brechende Äste
Im tropischen Regenwald ist die Gefahr größer von einem Ast erschlagen als von einer giftigen Schlange gebissen zu werden. Zum Schutz vor herunterstürzenden Ästen ist es deshalb besser, sich während eines Regenschauers und unmittelbar danach nicht im Wald zu bewegen.
In manchen Fälle profitiert allerdings auch die Trägerpflanze von ihren Aufsitzern. Es konnte beobachtet werden, dass Bäume, deren Äste über und über mit Epiphyten bewachsen waren, an ihren Ästen Luftwurzeln ausbilden. Diese Luftwurzeln dringen in das Epiphyten/Humus-Geflecht ein um Nährstoffe für den Baum abzuziehen.
Vorteile des Lebens in den Baumkronen
Das Leben im Kronendach biete viele Vorteile. Sonnenlicht ist leichter verfügbar, und es ist heller als am Urwaldboden, wo nur ein Prozent des Sonnenlichts ankommt. Außerdem müssen die Epiphyten keine Energie aufwenden um vom Urwaldboden in die Höhe zu wachsen – denn dort sind sie ja schon. Und der Konkurrenzkampf auf dem Weg vom Urwaldboden zum Licht ist gnadenlos.
Auch die Bestäubung ist im Kronendach wesentlich einfacher. Pflanzen werden in tropischen Regenwäldern hauptsächlich von Tieren bestäubt, Windbestäubung ist eher selten. Im Kronendach gibt es zahlreiche Vogel- und Insektenarten, die die Bestäubung der Epiphyten sicherstellen. Und auch Samen werden aus dem Kronendach heraus besser verteilt, sei es durch Vögel oder Affen. Die Samen von Orchideen werden nicht von Tieren sondern vom Wind verbreitet. Das gelingt natürlich besser in den Baumkronen, wo der Wind stärker ist als am Urwaldboden und die Samen über weite Entfernungen verbreitet werden können.
Besonders Vögel profitieren von den Epiphyten im Kronendach, die jede Menge Ressourcen zur Verfügung stellen, wie zum Beispiel Blüten, Nektar, Früchte, Insekten, Wasser und Nistmaterial. Über 193 Vogelarten nutzen Epiphyten als Nahrungs- und Wasserquelle, am häufigsten Tangare (Thraupidae) und Kolibris (Trochilidae).
Parasitierende Epiphyten
In der Regel sind Epiphyten keine Parasiten für ihre Trägerpflanzen und schädigen diese nicht. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Würgefeige beginnt ihr Leben als Epiphyt in der Baumkrone eines Trägerbaums, den sie nach und nach regelrecht erwürgt. Wenn der Trägerbaum abgestorben ist, bleibt die Würgefeige als eigenständiger Baum zurück. Sie lebt dann nicht mehr epiphytisch. Deswegen werden Würgefeigen als Hemiepiphyten („Halbepiphyten“) bezeichnet.
Auch bestimmte Orchideen-Arten können ihre Trägerpflanze schädigen. Orchideen, die keine Photosynthese betreiben, arbeiten in einer Symbiose mit Pilzen zusammen. Die Pilze bilden mit den Luftwurzeln der Orchidee eine Mykorrhiza, das heißt, der Pilz ist in Kontakt mit dem feinen Wurzelsystem der Orchidee und versorgt diese mit Nährstoffen. Dazu dringen die Pilzfäden in die Trägerpflanze ein und ziehen deren Nährstoffe ab. Davon profitieren sowohl der Pilz als auch die Orchidee, obwohl nur der Pilz tatsächlich parasitiert. Die Trägerpflanze wird geschädigt, auch weil vom Pilz Krankheiten auf die Trägerpflanze übertragen werden können.
Buch-Tipp
- J. Kricher: The New Neotropical Companion. Princeton UP, 2017.
Forschung
- S.P. Yanoviak et al.: Arthropods in Epiphytes: a Diversity Component That is Not Effectively Sampled by Canopy Fogging. Biodiversity & Conservation, 2003.
- N.M. Nadkarni & T.J. Matelson: Bird Use of Epiphyte Resources in Neotropical Trees. The Condor, 1989.