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Allgemeines über tropische Regenwälder
Apotheke Regenwald – Arzneimittel aus dem Regenwald
Jedes vierte Arzneimittel basiert auf einem pflanzlichen Wirkstoff. Traditionelles Wissen über pflanzliche Heilmittel verbessert die Gesundheit der Menschen weltweit. Doch Vorsicht ist geboten vor Biopiraterie – die Rechte und das Wissen von Völkern und Herkunftsländern müssen gewahrt bleiben.
Tropische Regenwälder sind ein grünes Chemielabor
Die tropischen Regenwälder werden gerne mit einer Apotheke verglichen oder auch mit einem universellen Chemielabor. „Die Natur ist die beste Apotheke“, sagte schon der Naturheilkundler Sebastian Kneipp im 19. Jahrhundert. In einer Apotheke werden Arzneimittel gelagert, abgegeben und hergestellt. Der Vergleich mit den tropischen Regenwäldern bietet sich an, weil in ihrer Artenvielfalt noch unzählige potenzielle Wirkstoffe für Arzneimittel verborgen liegen.
Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) basieren 25 Prozent der Arzneimittel auf pflanzlichen Wirkstoffen. Traditionelles Wissen über die Wirkung von Heilpflanzen verbessert die Gesundheit der Menschen weltweit. Die Zahl der weltweit in der traditionellen Medizin verwendeten Pflanzenarten wird auf 10.000 bis 53.000 geschätzt. Im Zeitraum zwischen 1981 und 2010 wurden in den USA 104 Antibiotika neu zugelassen. Von diesen hatten 75 Prozent einen pflanzlichen Hintergrund. Ähnlich sieht es bei den Arzneimitteln gegen Viren und Parasiten aus, die im selben Zeitraum zugelassen wurden.
Wie viele der pflanzlichen Wirkstoffe ursprünglich aus den tropischen Regenwäldern kommen, ist nicht bekannt, weil erst ein Bruchteil – Schätzungen gehen von einem Prozent aus – der tropischen Pflanzen auf ihr pharmakologisches Potenzial untersucht wurde. Eine der größten Sammlungen mit Pflanzenproben aus der ganzen Welt ist die des Krebsforschungszentrums der USA (National Cancer Institute) mit 60.000 Exemplaren.
Pflanzliche Wirksubstanzen
Es scheint eine gute Idee zu sein, in der große Artenvielfalt der tropischen Regenwälder nach medizinischen Wirksubstanzen zu suchen. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, wo die Suche begonnen werden soll. In den nachfolgenden Fällen war die Suche bereits erfolgreich:
- Aus dem in Indonesien und Malaysia beheimateten Mahagonibaum Aglaia foveolata kann der Naturstoff Silvestrol gewonnen werden. Silvestrol hemmt ein Enzym, das RNA-Viren brauchen um sich in den Wirtszellen zu vermehren. Es wirkt gegen RNA-Viren aus verschiedenen Virusfamilien wie Ebola-, Corona-, Zika-, Chikungunya- und Hepatitis-E-Viren. Weil es wenig schädlich für die Wirtszellen ist, könnte Silvestrol breitflächig in der Therapie von Viruserkrankungen eingesetzt werden. Insbesondere auf Borneo werden Naturstoffe aus Aglaia foveolata traditionell gegen zahlreiche Krankheiten eingesetzt.
- Indigene Völker auf Borneo nutzen die Blätter des Drachenbaums Dracaena cantleyi um Muskel- und Gelenkschmerzen zu lindern. Erstaunlicherweise nutzen auch Orang-Utans die Blätter. Weibliche Orang-Utans kauen die Blätter um einen weißen Schaum zu erzeugen, den sie dann zur Schmerzlinderung auf ihren Körper auftragen.
- Croton lecheri ist ein schnell wachsender Baum aus den tropischen Regenwäldern Kolumbiens, Ecuadors und Peru, aus dem ein roter Milchsaft, genannt Drachenblut (Sangre de Grado), gewonnen wird. Der Saft wird erfolgreich als Wundheilmittel (Flüssigpflaster) mit entzündungshemmender Wirkung eingesetzt.
- Curare wird aus der Rinde von Lianen gewonnen. Indigene Völker nutzen Curare seit Jahrhunderten als Pfeilgift bei der Jagd. In der modernen Medizin wurde sein Alkaloid, D-Tubocurarin, als Muskelrelaxans zur Behandlung von Multipler Sklerose, Parkinson und anderer Muskelerkrankungen eingesetzt.
- Chinin war das erste wirksame Arzneimittel zur Behandlung von Malaria. Es wurde ursprünglich vom Stamm der Quechua entdeckt, der die gemahlene Rinde von Chinabäumen mit gesüßtem Wasser mischte, um ein Zittern bei Kälte zu verhindern.
- Vinblastin und Vincristin sind Inhaltsstoffe des rosigen Immergrüns (Catharanthus roseus) aus Madagaskar, das zur Behandlung einiger Arten von Leukämie bei Kindern verwendet werden kann.
- Artemisin, ein Pflanzenstoff aus dem Einjährigen Beifuß Artemisia annua, wird in Afrika erfolgreich als Mittel der ersten Wahl gegen Malaria eingesetzt. Auch eine Wirkung in der Therapie von COVID-19 wird diskutiert.
Das in den Blättern, Zweigen und Blüten von Jambu (Spilanthes oleracea) enthaltene Spilanthol-Alkaloid wird als geeignet für anästhetische, antiseptische, Anti-Falten-, Zahnpasta-, gynäkologische und entzündungshemmende Anwendungen beschrieben. Andere Produkte aus der Amazonasregion sind Rosenholz (Aniba rosaeodora), Nhandiroba (Carapa guianensis) und Copaiba (Copaifera langsdorffii), deren ätherische Öle in der Kosmetik verwendet werden. Die Bacuri (Platonia insignis) ist eine Frucht aus Amazonien, die zunehmend für Eis, Süßigkeiten und Saftprodukte nachgefragt wird. Das aus ihren Samen gewonnene Öl wird in der traditionellen Medizin und in der Kosmetikindustrie als entzündungshemmende Substanz verwendet.
Wirksubstanzen aus Tieren
Weit weniger als Pflanzen werden Tiere auf Substanzen mit medizinischer Wirkung untersucht. Wegen ihrer Artenvielfalt bieten sich Insekten und Weichtiere aber auch Amphibien an:
- Jede der etwa 500 Kegelschneckenarten hat einen arttypischen Satz von 50 bis 200 individuellen Giften (Conotoxine), die an verschiedenen Stellen im Nervensystem angreifen können und deshalb in der Therapie von neurologischen Erkrankungen sehr erfolgversprechend sind. Ziconotid ist ein Giftstoff aus einer Kegelschnecke, der tausendmal stärker als Morphium ist.
- In den 1980er Jahren wurden in Australien die Magenbrüterfrösche der Gattung Rheobatrachus entdeckt. Die Frösche brüten ihren Nachwuchs im Magen der Mutter aus. Normalerweise würden die Jungen im Magen verdaut werden, aber bei diesen Fröschen produzieren die Jungen zahlreiche Substanzen, die sie vor den Verdauungsenzymen und der aggressiven Säure im Magen der Mutter schützen. Wissenschaftler erkannten den therapeutischen Wert der Magenbrüterfrösche. Eine Erforschung kann jedoch nicht mehr stattfinden, weil beide Arten und mit ihnen ihre medizinischen Geheimnisse bereits ausgestorben sind.
- Pumiliotoxin, das Hautgift des Panama-Pfeilgiftfroschs Dendrobates pumilio stärkt den Herzmuskel.
Doch nicht nur der Mensch nutzt Wirksubstanzen aus Tieren für medizinische Zwecke, sondern auch Tiere. Von Orang-Utans ist bekannt, dass sie Blätter des Drachenbaums Dracaena cantleyi kauen um damit Muskel- und Gelenkschmerzen zu lindern. Von Schimpansen hingegen ist bekannt, dass sie Insekten nutzen um Wunden zu heilen. Die Menschenaffen fangen Insekten, zerdrücken sie mit den Fingern oder den Lippen und platzieren sie dann auf offenen Wunden, wo sie sie mit den Fingern oder Lippen hin- und herbewegen. Zuletzt wird das Insekt wieder entfernt. Bemerkenswert ist, dass Schimpansen diese Art der medizinischen Heilung sowohl bei sich selbst als auch bei Artgenossen durchführen.
Biopiraterie
Anfang der 1990er-Jahre wurde der Begriff Biopiraterie geprägt, für den es keine exakte Definition gibt. Im Wesentlichen geht es darum, dass genetische Ressourcen geplündert oder geraubt werden. Eine große Artenvielfalt bildet die Grundlage für große genetische Ressourcen, denn viele verschiedene Arten haben auch viele verschiedene Gene. In den tropischen Regenwäldern ist die Artenvielfalt besonders groß. Das bedeutet, dass Völker oder Länder, die über tropische Regenwälder in ihrem Territorium verfügen, zugleich auf große genetische Ressourcen zugreifen können.
Das wirtschaftliche Potenzial der genetischen Ressourcen tropischer Regenwälder ist gewaltig. So können pflanzliche Wirkstoffe als Grundlage für die Entwicklung von Arzneimitteln dienen, und aus Wildpflanzen können neue Sorten gezüchtet werden. Mit beidem lässt sich viel Geld verdienen, was Begehrlichkeiten bei den technologisch fortschrittlicheren Länder weckt. Bedienen sich diese Länder der genetischen Ressourcen der Völker oder Herkunftsländer ohne dafür einen angemessenen Ausgleich zu leisten, spricht man von Biopiraterie.
Ein Beispiel für Biopiraterie ist der Hoodia-Fall. Hoodia gordonii ist eine kaktusähnliche Pflanze, die im Süden Afrikas in der Kalahari vorkommt. Seit Jahrhunderten nutzen die Buschleute der San in der Kalahari die Hoodia um Hunger und Durst während ihrer Streifzüge zu unterdrücken. In den 1990er-Jahren erzählten die San den Wissenschaftlern des südafrikanischen Forschungszentrums CSIR von den Hunger unterdrückenden Eigenschaften der Pflanze. Das CSIR hat das Wissen der San genutzt und unter Mitwirkung von westlichen Großkonzernen aus der Hoodia den Appetitzügler P57 isoliert und als Diätmittel patentiert. Die San gingen leer aus, ihr Wissen wurde geraubt – das ist Biopiraterie. Erst nach weltweiten Protesten wurden sie im Jahr 2003 schließlich doch noch an der Lizenz für P57 beteiligt.
Das Nagoya-Protokoll
Fälle wie dieser führten zu einem Umdenken in der Weltgemeinschaft. Zur Bekämpfung der Biopiraterie wurde im Rahmen der zehnten Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity) am 29. Oktober 2010 in Nagoya, Japan, das sogenannte „Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile zum Übereinkommen über die biologische Vielfalt“, kurz Nagoya-Protokoll, verabschiedet.
Es trat am 12. Oktober 2014 in Kraft. Bislang sind ihm 122 Vertragspartner beigetreten, darunter auch die Europäische Union. In Deutschland ist das Nagoya-Protokoll im Juli 2016 in Kraft getreten. Zuvor hatte Deutschland am 21. April 2016 das Protokoll ratifiziert und damit entschieden, Vertragspartei dieses völkerrechtlichen Vertrages zu werden. Die Einhaltung des Protokolls wird in Deutschland vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) kontrolliert.
Das Nagoya-Protokoll soll mehr Rechtssicherheit und Transparenz für die Nutzung genetischer Ressourcen schaffen. Außerdem sollen Völker und Herkunftsländer gerecht an der Nutzung ihrer genetischen Ressourcen und ihres traditionellen Wissens beteiligt werden. Obwohl das geistige Eigentum und das traditionelle Wissen von Völkern und Herkunftsländern jetzt besser geschützt sind, betrachten viele das Nagoya-Protokoll immer noch mit Argwohn, und es bestehen weiterhin Bedenken.
www-Tipps
- Convention on Biological Diversity – About the Nagoya Protocol.
- Bundesamt für Naturschutz zum Nagoya-Protokoll.
- Connecting Global Priorities: Biodiversity and Human Health – A State of Knowledge Review. WHO, 2015.
Forschung
- A. Mascaro et al.: Application of insects to wounds of self and others by chimpanzees in the wild. Current Biology, 2022.
- C. Müller et al.: Comparison of broad-spectrum antiviral activities of the synthetic rocaglate CR-31-B (−) and the eIF4A-inhibitor Silvestrol. Antiviral Research, 2020.
- L. Holzmeyer et al.: Evaluation of plant sources for antiinfective lead compound discovery by correlating phylogenetic, spatial, and bioactivity data. PNAS, 2020.
- N. Biedenkopf et al.: The natural compound silvestrol is a potent inhibitor of Ebola virus replication. Antiviral Research, 2017.
- C.H. Saslis-Lagoudakis et al.: Phylogenies reveal predictive power of traditional medicine in bioprospecting. PNAS, 2012.
- J.D. McChesney et al.: Plant natural products: Back to the future or into extinction? Phytochemistry, 2007.
- A. Gurib-Fakim: Medicinal plants: Traditions of yesterday and drugs of tomorrow. Mol Aspects Med, 2006.
Buch-Tipps
- Apotheke Regenwald, von Dr. Andrea Flemmer, 2009.
- Die Biopiraten, von Michael Frein und Hartmut Meyer, 2008.
Presse
- Afrikanischer Kräutertrank als Heilmittel gegen COVID-19? Deutschlandfunk, 10.06.2020.
- Der Kuss der Acai-Frucht, Deutschlandradio Kultur, 31.01.2010.
- Biopiraterie – Vorläufiges Aus für Umckaloabo-Patent, Focus Online, 29.01.2010.
- Heilkräuter: Wunderbares und Wunderliches, Stern Online, 29.03.2009.
- Jäger des grünen Schatzes, Spiegel Online, 21.05.2008.
- Mit jeder Art stirbt ein mögliches Medikament, Spiegel Online, 23.04.2008.
- Schimpansen in ihre Hausapotheke geschaut, Welt Online, 02.01.2008.
- Tropische Krankheiten erreichen Europa, Welt Online, 13.09.2007.
- Bald Arzneimittel aus der Insektenapotheke? Stern Online, 16.04.2005