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Pflanzenwelt tropischer Regenwälder
Lianen – Kletterer des Regenwalds
Auf ihrem Weg vom Urwaldboden zum Licht schlängeln sich Lianen kreuz und quer durch den Regenwald. Dabei können sie bis zu 300 Meter lang werden. Lianen sind verholzte Kletterpflanzen, die nur in tropischen Regenwäldern vorkommen.
Lianen sind holzige Kletterpflanzen, die, ähnlich wie Bäume und im Gegensatz zu Epiphyten, ihr ganzes Leben lang im Boden verwurzelt bleiben. Sie nutzen Bäume und andere Pflanzen um ins Kronendach zum Licht zu klettern. Der Begriff „Liane“ beschreibt das Aussehen und Wachstum einer Pflanze und nicht die Gruppierung in einer Pflanzenfamilie. Deswegen gibt es Lianen in verschiedenen Pflanzenfamilien, wie zum Beispiel den Passionsblumen- (Passifloraceae) oder Aronstabgewächsen (Araceae). Zu den Lianen gehören beispielsweise Rattanpalmen, Philodendron und Strychnos toxifera, aus der das Gift Curare gewonnen wird. Das leichte Holz der Rattanpalmen wird verwendet um Rattan-Möbel herzustellen.



Lianenvielfalt
Lianen sind ein wesentlicher Bestandteil der Vegetation tropischer Regenwälder, wo sie bis zu 10% der Pflanzenvielfalt ausmachen. Dieser Wert kann in einzelnen Regionen auf 44% ansteigen. Üblicherweise gehören etwa 25% der verwurzelten Holzstämme und 35% der Holzpflanzenarten zu den Lianen. Sie tragen außerdem zu etwa 15% zur Nettoprimärproduktion tropischer Regenwälder bei. In den Wäldern der gemäßigten Breiten kommen sie hingegen nicht vor.
Das Leben von Lianen beginnt am Urwaldboden
Das Leben der Kletterer beginnt im untersten Stockwerk des Regenwalds, auf dem Urwaldboden, wo es sehr dunkel ist. In der Regel keimen Samen in tropischen Regenwäldern erst dann, wenn Licht auf den Urwaldboden trifft. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Baum umfällt oder selektiv gerodet wird und er eine Lücke in das geschlossene Kronendach reißt. Das Licht aktiviert die im Boden schlummernden Samen. Es beginnt ein Wettrennen um die besten Plätze an der Sonne. Schnell wachsende Pflanzen sind dabei klar im Vorteil – und Lianen gehören zu den schnell wachsenden Pflanzen im Regenwald.
Nachdem der Same zu keimen begonnen hat, wachsen manche Lianen anfangs wie Bäume und sehen auch so aus. Um allerdings weiter nach oben zum Licht zu kommen, braucht die junge Pflanze Kletterhilfe von anderen Bäumen. In einiger Höhe greift sie deshalb mit ihren Ranken, Haftwurzeln oder anderen spezialisierten Pflanzenorganen nach den Blättern, Ästen und Stämmen umliegender Bäume.



Einmal umklammert, wird der Wirtsbaum nicht mehr losgelassen. Schnell drängt und wächst die Liane zum Licht, was nicht immer zum Vorteil für den Wirtsbaum ist. Denn sie konkurriert mit dem Wirtsbaum um Licht und kann dessen Wachstum, Entwicklung und Fortpflanzung erheblich stören. Viele Lianen haben allerdings keine nachteiligen Auswirkungen auf ihren Wirtsbaum. In Primärwäldern deutet das Vorkommen großer Lianen auf einen gesunden Regenwald hin.
Der Weg ins Kronendach
Obwohl es Ausnahmen gibt, bevorzugen Lianen Bedingungen mit viel Licht, wie sie Kronendach zu finden sind. Während Bäume in ihrer Entwicklung direkt in das Kronendach wachsen, folgen Lianen einem unregelmäßigeren und kurvenreicheren Weg durch das Unterholz um in das Kronendach vorzudringen. Bei ihrem Wachstum entwickeln sie holzige Stämme und Stängel, die einen Durchmesser von bis zu 60 Zentimetern erreichen können. Durch ihr Wachstum kreuz und quer durch den Regenwald können sie bis zu 300 Meter lang werden.
Wenn sie das Kronendach erreicht haben, breiten sich Lianen oft auf andere Bäume aus oder wickeln sich um andere Lianen. Im Kronendach plazieren sie den größten Teil ihrer Blätter über denen ihres Wirtsbaums und, bei großen Lianen, auch über die Blätter benachbarter Wirtsbäume. Das Lianengeflecht im Kronendach bietet flachwurzelnden Bäumen festen Halt bei starkem Wind. Wenn jedoch ein Baum umfällt oder selektiv gerodet wird, können über das Lianengeflecht verbundene Bäume in der Nachbarschaft mit in den Tod gerissen werden.
Zahlreiche Tierarten, wie zum Beispiel Affen, nutzen die Lianen als Leiter nach oben. Deswegen wird eine Lianenart aus Amazonien (Bauhinia sp.) wegen ihres charakteristischen Aussehens „Affenleiter“ genannt. Die verworrenen Stämme und Stängel der Lianen dienen außerdem vielen Tieren und Pflanzen als Versteck.


Leichtes Holz und viele Blätter
Lianen sind auf die stützende Hilfe von Wirtsbäumen angewiesen. Im Vergleich zu Bäumen haben Lianen dünne Stämme und Stängel. Das ist möglich, weil sie weniger Energie und Ressourcen in die Ausbildung von stabilen holzigen Stämmen aufwenden müssen. Deswegen können Lianen auch schneller wachsen als Bäume und Lücken in den Baumkronen schneller besiedeln.
Was die Lianen an Energie und Ressourcen bei der Bildung von Stützstrukturen einsparen, investieren sie an anderer Stelle – bei den Blättern. Lianen tragen sehr viele Blätter. Lianenblätter sind leichter und haben im Vergleich zu den Blättern von Bäumen eine größere Fläche und Biomasse.
Um die vielen Blätter mit Wasser und Nährstoffen zu versorgen, benötigen Lianen ein relativ großes und effizientes Gefäßsystem in ihren Stämmen. Ihre Hölzer weisen in der Regel eine Vielzahl charakteristischer anatomischer Strukturen auf. So haben die Leitungsbahnen für den Transport von Wasser und Nährstoffen im Stamm ein großes Volumen, wodurch das Holz leicht wird. Wegen des leichteren Holzes tragen Lianen mit 5 bis 10% weniger zur Holzbiomasse in tropischen Regenwäldern bei als Bäume.
Tarzan und die Liane
Es ist möglich, dass Tarzan sich nicht an einer Liane durch den Urwald geschwungen hat, denn Lianen sind verholzt und wenig elastisch. Wahrscheinlich hat er die kräftigen Luftwurzeln von Aufsitzerpflanzen im Kronendach zur schwungvollen Fortbewegung genutzt.



Lianen und der Klimawandel
Lianen können das Wachstum und die Entwicklung von Bäumen stören. Das hat einen messbaren negativen Effekt auf die Speicherung und Aufnahme von Biomasse in tropischen Regenwäldern. Viele Lianen in einem tropischen Regenwald können die jährliche Kohlenstoffaufnahme und -speicherung durch die Störung der Bäume erheblich verringern und damit den Klimawandel beeinflussen.
Um dies experimentell zu belegen, haben Wissenschaftler in einem tropischen Regenwald auf der Insel Barro Colorado (Panama) mit Macheten sämtliche Lianen in Versuchsparzellen entfernt. In Kontrollparzellen wurden die Lianen nicht entfernt. Nach drei Jahren hat sich gezeigt, dass die Biomasse in den Kontrollparzellen um 76% gesunken war im Vergleich zu den Versuchsparzellen. Ursachen hierfür war ein schlechteres Baumwachstum, hervorgerufen durch den Lianenbewuchs. In den Versuchsparzellen war zudem Biomasse der Blätter um 14% geringer, der Holzzuwachs dagegen um 65% höher. Von Lianen befreite Regenwälder nehmen also mehr Kohlenstoff auf als Kontrollgebiete, in denen die Kletterpflanzen frei wachsen.
Selektiver Holzeinschlag
Bei selektivem Holzeinschlag werden einzelne Bäume aus einem tropischen Regenwald gerodet. Wenn der ausgewählte Baum zahlreiche Lianen beherbergt, werden bei der Rodung viele Nachbarbäume mit in den Tod gerissen. Zudem wird das Kronendach geöffnet und schnell wachsende Pflanzen drängen zum Licht. Viele Lianen in einer Lücke im Regenwald verhindern, dass sich Bäume aus dem Unterholz heraus entwickeln können. Der Baumbestand nimmt ab und verringert die Kohlenstoffmenge, die von der Vegetation aus der Luft aufgenommen werden kann. Dadurch wird der Klimawandel beschleunigt – ein Effekt, der heute schon beobachtet werden kann.


www-Tipps
- Lianas and climbing plants of the Neotropics. Smithsonian – National Museum of Natural History.
- The Strange Case of the Liana Vine and Its Role in Global Warming. Yale Environment 360, 2017.
Forschung
- F. Meunier et al.: Liana optical traits increase tropical forest albedo and reduce ecosystem productivity. Global Change Biology, 2021.
- A.R. Marshall et al.: Conceptualising the Global Forest Response to Liana Proliferation. Frontiers in Forests and Global Change, 2020.
- T. Cahyanto et al.: Lianas diversity in Gambung area Gunung Tilu Nature Reserve. Journal of Physics: Conference Series, 2019.
- S.A. Schnitzer: Testing ecological theory with lianas. New Phytologist, 2018.
- G.M.F. van der Heijden et al.: Lianas reduce carbon accumulation and storage in tropical forests. PNAS, 2015.
- D.R. Pérez‐Salicrup et al.: Lianas and Trees in a Liana Forest of Amazonian Bolivia. BioTropica, 2006.
- S.A. Schnitzer: A mechanistic explanation for global patterns of liana abundance and distribution. The American Naturalist, 2005.