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Pflanzenwelt tropischer Regenwälder
Tropische Kannenpflanzen – Vorsicht Rutschgefahr!
Tropische Kannenpflanzen sind fleischfressende Pflanzen, die durchaus zu den bizarren Arten auf der Erde gehören. In der Miniaturwelt der Kannenpflanzen finden faszinierende Wechselbeziehungen zwischen Tieren und Pflanzen statt. Und es gibt tatsächlich auch Vegetarier unter den grünen Raubtieren.
Pflanzen werden von Tieren gefressen und nicht umgekehrt. Ein wenig fremd und unheimlich mag es deswegen erscheinen, dass es einigen bizarr anmutenden Pflanzen gelungen ist, den evolutionären Spieß umzudrehen – fleischfressende Pflanzen fangen und verdauen Tiere, vorwiegend Insekten. Sie kommen in Lebensräumen vor, in denen Nährstoffe knapp aber Licht und Wasser reichlich vorhanden sind, wie zum Beispiel in Mooren, Heiden oder Sümpfen. Dabei beziehen sie die für Pflanzen lebenswichtigen Nährstoffe Stickstoff und Phosphor nicht aus dem Boden, sondern aus den verdauten Insekten. Klebrige und glitzernde Tentakel, Schnappfallen, glitschige Kannen – die Kreativität der Natur war schier grenzenlos in der Evolution der grünen Raubtiere.
Es gibt 370.236 Pflanzenarten auf der Erde, von denen sich wenigstens 583 Arten in unterschiedlichen Familien und Ordnungen von Blütenpflanzen zu fleischfressenden Pflanzen entwickelt haben. Sie sind weltweit verbreitet und besiedeln die Erde seit Jahrmillionen. Zu den bei uns bekanntesten Arten gehören die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula), der Sonnentau (Drosera sp.), das Gemeine Fettkraut (Pinguicula vulgaris) und Kannenpflanzen (Nepenthes sp.)
Kannenpflanzen aus der Gattung Nepenthes
Die Vorfahren der Kannenpflanzen ähnelten möglicherweise primitiven Farnen und Bromelien, die mit trichterförmige Blattrosetten organisches Material einschließlich kleiner Insekten aufgefangen haben. Die gefangenen Tiere wurden zwar nicht zersetzt, ihre sich zersetzenden Körper trugen nichtsdestotrotz zur Nährstoffversorgung der Pflanzen bei. Im Laufe der Evolution haben sich die primitiven Farne und Bromelien mehr und mehr daran angepasst, Insekten zu fangen und als Nährstoffquelle zu nutzen.
Obwohl die charakteristischen Kannen auch in anderen Pflanzenfamilien ausgebildet werden, finden sich die meisten Kannenpflanzen in der Gattung Nepenthes wieder, die die einzige Gattung in der Pflanzenfamilie der Nepenthaceae ist. Mit bisher 151 dokumentierten Arten ist sie eine der größten Familien fleischfressender Pflanzen mit einer ausgedehnten geografischen Verbreitung in Südostasien – einschließlich Indonesien (Borneo, Sumatra), Malaysia und den Philippinen – sowie in Indien und Nordaustralien. Die meisten Arten sind in ihrer Ausbreitung oft auf einzelne Gebiete beschränkt, zum Beispiel auf einen isolierten Bergrücken auf Borneo oder ein isoliertes Tal auf Sumatra. Eine derartige lokale Verbreitung einer Art wird Endemismus genannt.
In die Falle gerutscht
Kannenpflanzen der Gattung Nepenthes sind passive Gleitfallen, die ihre Beute mit spezialisierten, stark modifizierten Blättern fangen, die als Kannen oder manchmal auch als Krüge bezeichnet werden. Jede Kanne besteht aus einem Hauptkörper, der mit wässriger Verdauungsflüssigkeit gefüllt ist, ähnlich wie ein Magen. Der kragenartige obere Rand der Kanne (Persitom) ist mit Drüsen besetzt, die süßlichen Nektar zum Anlocken von Insekten absondern. Bei den meisten Kannenpflanzen bildet der unbewegliche Kannendeckel eine Art Dach, der die Kanne bei den sintflutartigen Regenfällen vor Überflutung schützt. Auch auf der Unterseite des Deckels befinden sich häufig Nektar-produzierende Drüsen. Das Innere der Kanne ist hingegen mit einer rutschigen, wachsartigen Schicht ausgekleidet.
Bei jungen Kannen ist der Deckel fest verschlossen und die Wände der Kanne sind weich. Wenn die Kanne heranreift, werden die Wände fester und das Innere der Kanne wird mit wässriger Verdauungsflüssigkeit gefüllt, die von der Pflanze abgesondert wird. Die Verdauungsflüssigkeit enthält zahlreiche Proteine, die Enzyme genannt werden, wie zum Beispiel Amylasen und Proteasen. Mit ihrer Hilfe werden die gefangenen Tiere zersetzt. Große Kannen können bis zu zwei Liter Flüssigkeit enthalten. Sobald die Kanne voll ist, öffnet sich der Deckel – und fertig ist die tödliche Falle!
Ein Insekt wird zuerst durch den oftmals bunt gefärbten Deckel zur Kanne gelockt. Vom süßlichen Nektar des Peristoms verführt, klettert das Insekt über das Peristom in die Kanne, wo es auf der rutschigen Wachsschicht keinen Halt findet und unweigerlich in die saure Verdauungsflüssigkeit fällt. Dort wird es zersetzt, wobei die freigewordenen Nährstoffe über die Innenwände der Kanne von der Pflanze aufgenommen werden.
Die Zersetzung der Insekten erfolgt nicht nur durch Enzyme, sondern auch durch Organismen, die in der Kanne leben. Denn die Verdauungsflüssigkeit ist auch Lebensraum für eine vielfältige Gemeinschaft von symbiotisch lebenden Mückenlarven, Milben, Bakterien und Pilzen, die dort unbeeindruckt von der sauren Umgebung leben. Auf den Seychellen gibt es beispielsweise eine Mückenart, die ihre Eier ausschließlich in die Kannen legt. Die vielfältigen Interaktionen zwischen Tieren und Kannenpflanzen gehören zu den faszinierendsten, die die Natur zu bieten hat, wie die folgenden Beispiele belegen.
Wohnraum Nepenthes-Kanne
Die auf Borneo vorkommende Kannenpflanze Nepenthes bicalcarata lebt in einer symbiotischen Beziehung mit den Ameisen der Art Camponotus Schmitzii. Die Ameisen leben in den hohlen und geschwollenen Ranken und zehren von der Beute, die von Nepenthes bicalcarata gefangen wird. Ohne selbst verdaut zu werden, schwimmen und tauchen die Ameisen in den Kannen, um tierische Reste aus der Verdauungsflüssigkeit zu entfernen, zu zerkleinern und zu fressen. Damit verhindern die Ameisen, dass sich zu viel Unverdauliches in der Pflanze ansammelt. Zudem verteidigen die Ameisen die Pflanze gegen Fressfeinde. Die Ameisen wiederum könnten ohne die Pflanze nicht überleben. Die faszinierende Symbiose aus Ameisen und Kannenpflanze ist einzigartig in der Natur.
Im Tiefland in Malaysia, Indonesien und Singapur leben rote Krabbenspinnen der Art Misumenops nepenthicola in den Kannen einer Reihe von Nepenthes-Arten. Männchen und Weibchen erreichen beide eine Länge von 6 mm. Unter dem Peristom legen sie sich in der Kanne auf die Lauer und warten auf Beute, die sich der Kanne nähert. Die Spinnen rutschen auf der Wachsschicht an der Innenwand der Kanne nicht ab, weil sie diese vorher mit Spinnseide auskleiden. Zusätzlich machen die Krabbenspinnen Jagd auf Mückenlarven, die in der Verdauungsflüssigkeit leben und zum Luftholen an die Oberfläche kommen müssen.
Was die Bewohner der Kannen betrifft, geht es aber auch noch größer. Die auf Borneo beheimatete Hardwick-Wollfledermaus (Kerivoula hardwickii) nutzt die Kannenpflanze der Art Nepenthes hemsleyana als Fledermaushotel. Die Fledermäuse klettern in die Kannen um dort ihre Tagruhe zu halten. Die Miete für das komfortable Zimmer bezahlen die Fledermäuse mit ihren Hinterlassenschaften, die wertvolle Nährstoffe enthalten, die von der Kannenpflanze dankbar aufgenommen werden. Um ihre Gäste anzulocken, reflektiert Nepenthes hemsleyana geschickt die Ultraschallwellen der Fledermäuse und weist so den Weg mittels Leitstrahl zur gemütlichen Wohnkanne.
Die Schwebende Toilette
Die meisten Kannenpflanzen der Tropen verschlingen Insekten. Einen völlig anderen Weg hat Nepenthes lowii eingeschlagen. Sie kommt nur auf einer Handvoll isolierter Berggipfel auf Borneo vor, wo die Böden nährstoffarm und Insekten rar sind. Sie unterhält eine wechselseitige Verbindung mit Bergspitzmäusen der Art Tupaia montana.
Für gewöhnlich sind die Deckel von Kannenpflanzen nach unten über die Öffnung gebogen, um so Insekten zu fangen. Der Deckel von Nepenthes lowii funktioniert anders. Er ist nach oben gebogen und sondert einen weißen, zuckerhaltigen Nektar ab, mit dem Säugetiere angelockt werden sollen. Vom Aussehen ähneln die Kannen von Nepenthes lowii einer Toilette, weswegen sie auch „schwebende Toiletten“ genannt werden.
Insbesondere die Bergspitzmäuse fühlen sich von den schwebenden Toiletten angezogen. Und während sie sich am leckeren Saft laben, können sie sich bequem auf die breite, trichterförmige Öffnung setzen, die ihre abgegebenen Kothäufchen direkt in die Kanne ableitet – wertvolle Nährstoffe für die Pflanze, die buchstäblich gedeiht, wenn sie als Toilette verwendet wird.
Nepenthes ampullaria – die Vegetarierin unter den fleischfressenden Pflanzen
Bei Nepenthes ampullaria von einer fleischfressenden Pflanze zu sprechen, verbietet sich fast, denn sie ernährt sich von Blättern, die sie mit ihren Kannen auffängt. Sie wird deswegen häufig unter geschlossenen Baumkronen angetroffen. In der wenig sauren Verdauungsflüssigkeit von Nepenthes ampullaria lebt ein Mikrokosmos von Organismen wie Kaulquappen, Mückenlarven, Bakterien und vielen weiteren. Die Kannen dieser Art enthalten gerade so starke Verdauungsflüssigkeit, dass zwar Blätter zersetzt werden, die Mitbewohner hingegen nicht. Nepenthes ampullaria ist auf ihre Mitbewohner in ihren Kannen angewiesen, die ihr dabei helfen, die aufgefangenen Blätter zu zersetzen.
www-Tipp
- F. Buch: Molekulare Analyse des Kannensaftes von Nepenthes Spezies. Dissertation, 2015.
Forschung
- I. Karl & U. Bauer: Inside the trap: Biology and behavior of the pitcher-dwelling crab spider, Misumenops nepenthicola. Flora Obscura, 2020.
- K.J. Gilbert et al.: Tropical pitcher plants (Nepenthes) act as ecological filters by altering properties of their fluid microenvironments. Nature, 2020.
- U. Bauer et al.: Mechanism for rapid passive-dynamic prey capture in a pitcher plant. PNAS, 2015.
- M. Greenwood et al.: A Unique Resource Mutualism between the Giant Bornean Pitcher Plant, Nepenthes rajah, and Members of a Small Mammal Community. PLOS ONE, 2011.
- F. Bohn & W. Federle: Insect aquaplaning: Nepenthes pitcher plants capture prey with the peristome, a fully wettable water-lubricated anisotropic surface. PNAS, 2004.