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Tierwelt tropischer Regenwälder
Faultiere – faszinierende Trägheit
„Ihre Trägheit ist eines der Naturwunder“, wird von den Faultieren gesagt. Faultiere gehören zur Familie der Bradypodidae. Sie werden etwa einen halben Meter groß und vier bis neun Kilogramm schwer. Im Ökosystem „Faultierfell“ leben zahlreiche Mikroorganismen.
Faultiere hangeln sich mit dem Bauch nach oben und dem Rücken nach unten im Zeitlupentempo durch das Kronendach der tropischen Regenwälder Mittel- und Südamerikas. Sie verankern sich mit ihren großen gebogenen Krallen in den Zweigen und fressen mit Gelassenheit pflanzliche Kost. Dazu müssen sich die Tiere nicht schnell bewegen. Im Gegenteil, gerade das ruhige Verhalten schützt sie vor Fressfeinden. Ihre Unauffälligkeit ist ihr bester Schutz.
Faultiere gehören zu den Nebengelenktieren
Gürteltiere, Faultiere und Ameisenbären gehören zu den ursprünglichsten und zugleich eigentümlichsten Säugetieren der Neuen Welt. Sie sind die letzten Überlebenden aus der Gruppe der Nebengelenktiere, die im Tertiär vor etwa 30 Millionen Jahren sehr formenreich war. Die Tiere haben im Brust- und Lendenwirbelbereich zusätzliche Gelenkhöcker und -gruben. Daher der Name Nebengelenktiere oder wissenschaftlich Xenarthra. Ameisenbären gehören ebenfalls zu den Nebengelenktieren.
Bis ins späte Pleistozän vor etwa 11.700 Jahren lebten noch mindestens 19 Gattungen von Faultieren auf den amerikanischen Kontinenten. Die meisten dieser Arten waren groß bis sehr groß und lebten wohl vornehmlich am Boden. Ihr größter Vertreter, das Riesenfaultier Megatherium americanum, wurde bis zu drei Tonnen schwer. In dieser Zeit lebten auch noch Mastodons und Säbelzahntiger. Vor etwa 12.000 bis 10.000 Jahren, zum Ende des Eiszeitalters (terminales Pleistozän), starben die meisten Faultiergattungen, Mastodons, Säbelzahntiger und weitere große Säugetierarten aus. Der Mensch ist all diesen Tieren zwar begegnet, war aber wohl nicht für ihr Aussterben verantwortlich.
Heute gibt es unter den Faultieren noch zwei Gattungen (Choloepus und Bradypus) mit etwa fünf Arten. Die Gattungen der Faultierfamilie unterscheiden sich auffällig durch die Zahl der Finger. So gibt es Zweifingerfaultiere (Choloepus) und Dreifingerfaultiere (Bradypus). Die alte Bezeichnung Zwei- und Dreizehenfaultier ist sinnlos, weil Faultiere immer drei Zehen besitzen. Alle überlebenden Arten leben auf Bäumen.
Weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen den Gattungen finden sich in der Wirbelzahl der Hals- und Brustwirbelsäule. Dreifingerfaultiere der Gattung Bradypus besitzen mit neun Halswirbeln die höchste bei Säugetieren bekannte Zahl, die es ihnen ermöglicht, den Kopf über 180 Grad hinaus zu drehen. Bis auf die Faultiere und Seekühe (Trichechus) haben alle anderen bekannten Säugetierarten nur sieben Halswirbel.
Vegetarische Ernährung
Faultiere sind auf Bäumen lebende Pflanzenfresser. Diese Art der Ernährung erlaubt nur einen stark eingeschränkten Lebensstil und erfordert Anpassungen. Einerseits müssen die Tiere klein und leicht sein, um im Kronendach von Ästen getragen werden zu können. Andererseits schränkt eine kleine Körpergröße die Verdauungskapazität ein, insbesondere für die Verdauung von Pflanzenmaterial, das reich an Ballaststoffen aber arm an verdaulichen Nährstoffen ist.
Faultiere pupsen nicht
Faultiere sind die einzigen Säugetiere, die nicht pupsen. Die Verdauung von Faultieren dauert bis zu einem Monat. Dabei entstehen zwar auch Gase, diese gelangen aber über den Darm ins Blut. In der Lunge werden die Gase aus dem Blut in die Ausatemluft abgegeben.
Zweifingerfaultiere sind relativ weit verbreitet und haben eine vergleichsweise vielfältige Ernährung mit tierischen Stoffen, Früchten und Blättern. Dreifingerfaultiere sind weniger weit verbreitet und gelten als strenge Folivoren (Blattfresser). Darüber hinaus verzehren einzelne Dreifingerfaultiere die Blätter von nur wenigen ausgewählten Baumarten. Wegen dieser ernährungsphysiologisch schlechten und toxischen Ernährung besitzen Dreifingerfaultiere die langsamste Verdauungsrate aller Säugetiere.
Der Gang zur Toilette
Etwa einmal pro Woche steigen Dreifingerfaultiere aus dem Kronendach auf den Urwaldboden hinab. Dabei bewegen sie sich mit einer Geschwindigkeit von vier Metern pro Minute. Am Urwaldboden angekommen, heben sie eine kleine Grube aus, in die sie ihre Exkremente ablegen. Nach dem Stuhlgang bedecken Faultiere die Latrine mit Laub und kehren zurück ins Kronendach.
Zweifingerfaultiere machen es sich einfacher und lassen ihre Exkremente aus dem Kronendach auf den Boden fallen. Der Abstieg auf den Urwaldboden ist für jedes Faultier sowohl riskant als auch energetisch kostspielig. Er ist deswegen die häufigste Todesursache unter Faultieren. Etwa die Hälfte aller Dreifingerfaultiere stirbt beim „Toilettengang“, wo sie ihren Fressfeinden (Harpyien, Raubkatzen etc.) hilflos ausgeliefert sind.
Ökosystem Faultierfell
Eine Besonderheit der Faultiere ist ihr Fell. Normalerweise verläuft der Scheitel des Fells entlang der Wirbelsäule auf dem Rücken, zum Beispiel bei Hunden und Katzen. Nicht bei den Faultieren. Bei Ihnen verläuft der Scheitel auf der Mittellinie von Brust und Bauch. Eine gute Anpassung an eine ungewöhnliche Körperhaltung. Wassertropfen bleiben nicht auf dem Bauch im Fell hängen, sondern können nach beiden Seiten ablaufen.
Faultiere beherbergen eine vielfältige Ansammlung von Mikroorganismen in ihrem Fell. Dazu gehören Algen, Arthropoden und Pilze, von denen viele nur im Ökosystem „Faultierfell“ vorkommen. Die von einem lockeren Zellverband umgebenen Haare besitzen feine, wassergefüllte Rillen, in denen sich mikroskopisch kleine Grünalgen angesiedelt haben. Besonders häufig sind Grünalgen der Gattung Trichophilus im Fell zu finden. Die Algen geben dem Fell der Faultiere einen grünlichen Schimmer und damit eine vorzügliche Tarnung in den Baumkronen. Umgekehrt werden die Grünalgen vom Faultier zum Licht getragen. Zwischen Faultier und Algen gibt es eine echte Symbiose, das heißt, eine Lebensgemeinschaft mit beiderseitigem Nutzen.
Faultiere beherbergen weitere Untermieter in ihrem Fell. Kleine Motten, sogenannte Pyralidmotten, aus der Gattung Cryptoses sind in ihrer Entwicklung auf das Faultierfell angewiesen. Weil sie sich nicht vom Faultier ernähren, schädigen sie es nicht. Wenn ein Dreifingerfaultier zur Toilette auf den Urwaldboden absteigt, verlassen befruchtete weibliche Motten das Faultier und legen ihre Eier in den frischen Exkrementen ab. Die Larven entwickeln sich vollständig in den Exkrementen. Am Ende ihrer Entwicklung fliegen sie als ausgewachsene Motten ins Kronendach, wo sie Faultierfelle suchen um sich darin zu paaren. Der Lebenszyklus der Pyralidmotten ist vollständig abhängig vom Lebenszyklus des Faultiers. Inwiefern das Faultier von den Motten profitiert ist nicht ganz klar. Vermutlich erhält es Nährstoffe von den Motten. Die Motten könnten die Verbindung zwischen dem Ökosystem „Faultierfell“ und der Umgebung sein.
Antibiotika aus dem Faultierfell
Faultiere verbringen durchschnittlich fünfzehn Stunden am Tag schlafend. Sie trinken nicht, sondern nehmen Feuchtigkeit mit der saftigen Pflanzennahrung auf oder lecken Tautropfen ab. Außerdem sind sie unempfindlich gegen Hunger und Durst. Im Vergleich zu anderen Säugetieren sind Faultiere sehr zäh. Sie überleben Verletzungen, denen die meisten Säugetiere schon nach kurzer Zeit erliegen würden. Im Fell von Faultieren wimmelt es von Insekten, Algen, Bakterien und Pilzen, trotzdem werden die Tiere selten krank. Wissenschaftler haben untersucht, woran das liegen könnte und haben dazu Fellproben von Faultieren in Costa Rica genommen, um sie im Labor zu untersuchen.
Sie fanden in den Fellproben wenigsten 20 Arten von Mikroorganismen (zum Beispiel Bakterien), die Antibiotika produzieren oder die möglicherweise antibiotische Eigenschaften haben könnten. Antibiotika werden in der Medizin zum Schutz vor vielen bakteriellen Erkrankungen eingesetzt. Allerdings wirken heutzutage viele Antibiotika nicht mehr, weil die krankmachenden Mikroorganismen resistent geworden sind und von den Antibiotika nicht mehr abgetötet werden. Dadurch wird die Behandlung zahlreicher Infektionskrankheiten erschwert und das Risiko einer Krankheitsausbreitung und schwerer Erkrankungen erhöht.
Im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen könnten Faultiere zu einer medizinischen Geheimwaffe werden und der Menschheit einen großen Dienst erweisen.
Wie könnte es ander sein?!
Leider wird auch den Faultieren, besonders in Brasilien, unerbittlich nachgestellt. Das Fleisch der Tiere hat wenig Fett und erinnert im Geschmack wohl an Hammel. Außerdem kann das strohige Fell als kühle Satteldecke verwendet werden.
Forschung
- D. Rojas-Gätjens et al.: Antibiotic-producing Micrococcales govern the microbiome that inhabits the fur of two- and three-toed sloths. Environmental Microbiology, 2023.
- J.N. Pauli et al.: A syndrome of mutualism reinforces the lifestyle of a sloth. Proceedings of the Royal Society, 2014.
- L. Hautier et al.: Skeletal development in sloths and the evolution of mammalian vertebral patterning. PNAS, 2010.
- J.T. Faith & T.A. Surovell: Synchronous extinction of North America’s Pleistocene mammals. PNAS, 2009.
Presse
- Das brasilianische Kragenfaultier – Abhängen im Regenwald, Deutschlandfunk Kultur Online, 01.05.2020.