Info-Center
Tierwelt tropischer Regenwälder
Blattschneiderameisen – emsige Gärtner des Regenwalds
Neben dem Menschen verfügen nur Blattschneiderameisen über ein ausgeklügeltes landwirtschaftliches System um ihre eigenen Lebensmittel anzubauen. Sie sind die dominierenden Pflanzenfresser in Mittel- und Südamerika – und ein ernstes Problem für Kulturpflanzen.
Ameisen (Formicidae) gehören zu den Insekten und werden der Ordnung der Hautflügler (Hymenoptera) zugeordnet, zu denen auch Wespen, Bienen, Hornissen und Hummeln gehören. Im „Catalogue of Life“ werden aktuell 10.210 Ameisenarten aufgeführt. Es gibt 210 Ameisenarten, die Pilze kultivieren. Diese werden unter dem Sammelbegriff „Attini“ als eigener Stamm zusammengefasst. Urtümliche Arten der Attini sammeln zum Beispiel Insektenkot für die Pilzkultur, höher entwickelte Arten nutzen hingegen zerschnittene Blätter und Blüten.
Blattschneiderameisen gehören zu den höher entwickelten und auffälligsten Arten pilzkultivierender Ameisen. Sie werden in zwei Gattungen gruppiert: die Gattung Atta mit 17 Arten und die Gattung Acromyrmex mit 26 Arten. Blattschneiderameisen kommen ausschließlich in Amerika vor. Ihre Verbreitung reicht vom südlichen Teil der USA, über Mittelamerika bis nach Argentinien in Südamerika und ist nicht auf tropische Regenwälder beschränkt. Die Art Atta texana kommt beispielsweise nur in den USA in den Bundesstaaten Texas und Louisiana vor.
Im Staat der Blattschneiderameisen herrscht Arbeitsteilung
Blattschneiderameisen gehören zu den fortschrittlichsten aller sozialen Insekten. Wie alle Ameisenarten sind sie in Staaten organisiert, die fünf und sogar bis zu acht Millionen Individuen umfassen können. Der weltweit anerkannte Ameisenforscher Bert Hölldobler hat den Staat der Blattschneiderameisen als den „perfekten Superorganismus“ bezeichnet. Der Staat ist hierarchisch in Kasten unterteilt: Königin, Soldaten und Arbeiterinnen. In jeder Kaste gibt es Unterkasten, jede spezialisiert auf eine bestimmte Aufgabe im Staat. Zu welcher Kaste eine Ameise gehört und welche Arbeit eine Ameise in ihrem Leben verrichtet, hängt von ihrer Körpergröße ab. Die Zahl der Kasten kann sich bei den unterschiedlichen Arten unterscheiden.
Die Nummer Eins im Staat ist zugleich auch das größte Mitglied der Kolonie – die Königin. Sie kann mit etwa 2,5 Zentimetern doppelt so groß werden wie der größte Soldat. Sie trägt eine Unmenge an Eiern, die darauf warten, gelegt zu werden. Die Königin kann bis zu 15 Jahre alt werden und in dieser Zeit bis zu 150 Millionen Eier legen. Alle Mitglieder des Staats stammen von ihr ab. Die nur zur Paarungszeit geborenen Männchen sind zwar ebenfalls groß aber nicht so groß wie die reife Königin. Bis auf die Männchen sind alle anderen Mitglieder der Kolonie weiblich.
Staatenbildung
Wie bei den meisten Ameisenarten verlassen die flugfähigen geschlechtsreifen Weibchen und Männchen den Elternstaat und unternehmen Hochzeitsflüge. Dabei paart sich jedes Weibchen mit mehreren Männchen um genügend Spermien zu sammeln. Nach der Paarung landen die befruchteten Weibchen – jedes eine potenzielle Königin – auf dem Boden, brechen ihre Flügel ab und beginnen ein Nest zu graben. Um Pilzgärten anlegen zu können, hat jede Königin einen kleinen Vorrat des elterlichen Pilzes in ihrer Mundhöhle im Gepäck.
Soldaten beschützen den Ameisenstaat
Soldaten sind rötlich gefärbt, haben einen großen, herzförmigen Kopf, riesige Mundwerkzeuge (Mandibeln), lange Beine und einen borstigen Körper. Für Ameisen sehen die Soldaten riesig aus, insbesondere im Vergleich zu kleineren Arbeiterinnen. Die Soldaten patrouillieren entlang der Transportwege und am Nest um potenzielle Angreifer abzuwehren.
Die mittelgroßen Arbeiterinnen sind nur halb so groß, besitzen aber immer noch stattliche Mandibeln. Zu ihnen gehören die Sammlerinnen, die die Blattstücke aus den Blättern schneiden und zum Nest transportieren. Sie werden von kleineren Soldaten auf den Blattstücken begleitet, die die wehrlosen Sammlerinnen vor Angriffen aus der Luft schützen. Attackiert werden die Sammlerinnen von den Weibchen bestimmter räuberischer Buckelfliegen (Phoridae). Die nur wenige Millimeter großen, parasitierenden Fliegen versuchen mit ihrem Legestachel ein Ei im Hinterleib der Ameise zu plazieren. Bei Erfolg entwickelt sich aus dem Ei eine Larve, die die Sammlerin von innen heraus auffrisst.
Zu den kleinsten Mitgliedern des Ameisenstaats gehören die Gärtnerinnen, die sich um die Pflege des Pilzes in den Kammern des Nests kümmern. Daneben gibt es noch viele weitere spezialisierte Unterkasten, wie zum Beispiel Kundschafterinnen, Erdarbeiterinnen und Abfall beseitigende Arbeiterinnen.
Das unterirdisch gelegene Nest
Blattschneiderameisen sind ein faszinierender Anblick in den tropischen Regenwäldern Südamerikas. Aus der Ferne sieht es so aus, als bewegten sich kleine Blattstücke wie von Geisterhand in Karawanen durch den Wald. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die Blattstücke von Ameisen getragen werden, die sie wie kleine Segel über dem Rücken tragen. Emsig und unermüdlich marschieren sie die Baumstämme hinunter. Auf dem Urwaldboden nutzen sie ihre Transportstraßen um die Blattstücke in das unterirdisch gelegene Nest zu bringen.
Das Nest ist ein komplexes System aus miteinander verbundenen Tunneln, Röhren und Kammern unter der Erde. Es kann mehrere Meter tief in den Boden reichen und viele Quadratmeter bedecken. Das Nest ist klug konstruiert. Es hat Öffnungen für die Belüftung und Klimatisierung des Nests, Türme und Schlote, die eine Überflutung verhindern, Öffnungen, mit der die Kohlenstoffdioxid-Konzentration im Nest reguliert wird und vieles mehr.
Die Nester sind oberirdisch gekennzeichnet durch einen mehr oder weniger großen Hügel aus ausgeworfener roter Erde. Aus allen Himmelsrichtungen führen die Transportsstraßen in den Hügel hinein. Das Nest der Blattschneiderameisen lässt sich mit einem Eisberg vergleichen, von dem oberhalb der Wasseroberfläche nur wenig zu sehen ist und dessen größter Teil unter Wasser liegt.
Die Kammern des Nests dienen größtenteils als Pilzgärten, in anderen wird Brutpflege betrieben. Außerdem gibt es Abfallkammern und eine Kammer, die für die Königin reserviert ist.
Der Pilz
Anfangs gingen Wissenschaftler davon aus, dass die in das Nest transportierten Blattstücke den Ameisen als Nahrung dienen. Dem ist aber nicht so. Ihre Hauptnahrung ist ein schwammig aussehender Pilz, den sie in den Pilzgärten mit dem geernteten Blattmaterial kultivieren. Zumeist werden Pilze aus der Gattung Leucoagaricus kultiviert, die taxonomisch zu den Agaricales, den Champignonartigen gehören. Die Gattung Leucoagaricus umfasst 172 Arten. Der Pilz und die Ameisen leben in einer obligatorischen Symbiose, das heißt, der Pilz und die Ameisen wären ohne einander nicht lebensfähig.
Im Nest kümmern sich die Gärtnerinnen um den Pilz. Sie reinigen die angelieferten Blattstücke, zerkauen sie in kleinere Stücke und fügen Kot und Speichel hinzu. Das so erhaltene klebrige Material ist der Dünger, auf dem der Pilz gedeiht. Akribisch jäten und pflegen die Gärtnerinnen den wachsenden Pilz, um sicherzustellen, dass die Pilzmonokultur nicht verunreinigt wird. Dabei wird altes und unbrauchbares Material aus den Pilzgärten in speziellen Abfallkammern oder auf einer Deponie an der Oberfläche des Hügels entsorgt.
Im Gegenzug für die intensive Pflege versorgt der Pilz die Ameisen mit sogenannten Gongylidien, das sind die Fruchtkörper des Pilzes. Die Gongylidien sind nährstoffreich und dienen den Larven der Ameisen als Nahrung, während sich die Arbeiterinnen von den Pflanzensäften ernähren, die beim Zerkleinern der Blätter austreten.
Biochemische Reinigung der Pilzgärten
Die Reinigung der Pilzgärten erfolgt aber nicht nur mechanisch durch den Abtransport von Abfällen, sondern auch biochemisch. Blattschneiderameisen besitzen sogenannte Metapleuraldrüsen, in denen sie Substanzen zum Schutz gegen Bakterien und Pilze bilden, wie zum Beispiel Myrmicacin (3-Hydroxydecansäure) oder Phenylessigsäure. Zusätzlich tragen die Ameisen Bakterien der Gattung Streptomyces auf ihrer Körperoberfläche, die Substanzen mit antimikrobieller Wirkung (Candicidin) freisetzen. Mit diesen Antibiotika und Antimykotika können die Ameisen die Pilzgärten vor Krankheitserregern schützen.
Candicidin
Candicidin ist ein Antibiotikum, das aus Streptomyces-Bakterien gewonnen wird und gegen einige Pilze der Gattung Candida (Candida albicans) wirkt – daher der Name. Candicidin wird in der Frauenheilkunde als Antimykotikum gegen Candida-Albicans-Infektionen eingesetzt.
Der Schutz vor Bakterien und Pilzen ist dringend notwendig, denn die feuchten und warmen Umweltbedingungen im Nest sind auch perfekt für Bakterien und andere Pilze geeignet. Insbesondere der krankheitserregende Pilz Escovopsis kann schädlich für die Pilzgärten sein und eine Ameisenkolonie vollständig zerstören.
Wirtschaftliche Schäden
Wegen der großen Menge an gesammelten Blättern, gelten Blattschneiderameisen der Gattungen Atta und Acromyrmex als die führenden landwirtschaftlichen Schädlinge in Mittel- und Südamerika. Auf einem Hektar Land können bis zu 28 Nester von Blattschneiderameisen liegen, wobei jeder Staat eine Million oder mehr Ameisen beherbergen kann. Sie sind unersättlich und können bis zu 15 Prozent der Blattmasse von Kulturpflanzen entfernen und damit das Pflanzenwachstum nachhaltig schädigen. Das Wachstum von Gräsern auf Rinderweiden kann durch Blattschneiderameisen um bis zu zehn Prozent reduziert werden.
Der wirtschaftliche Schaden, der von Blattschneiderameisen ausgeht, bewegt sich möglicherweise im Bereich von Milliarden Dollar. Darin eingeschlossen sind Kollateralschäden, wie zum Beispiel der Verlust der Landoberfläche durch die großen Nester und Bodenerosion.
www-Tipps
- Catalogue of Life.
- AntWiki: Chapter 17 – The Fungus Growers.
- D. Spiteller: Wie schützen Pilz-züchtende Ameisen ihren Pilzgarten vor Infektionen?
Buchtipps
- B. Hölldobler & E.O. Wilson: Blattschneiderameisen – der perfekte Superorganismus. Springer, 2011.
- B. Hölldobler & E.O. Wilson: Ameisen – Die Entdeckung einer faszinierenden Welt. Birkhäuser, 1995.
Forschung
- L.A. Meirelles et al.: Shared Escovopsis parasites between leaf-cutting and non-leaf-cutting ants in the higher attine fungus-growing ant symbiosis. Royal Society Open Science, 2015.
- M.A. Nickele et al.: Leaf-cutting ant attack in initial pine plantations and growth of defoliated plants. Pesquisa Agropecuária Brasileira, 2012.
- L. Elizalde & P.J. Folgarait: Behavioral strategies of phorid parasitoids and responses of their hosts, the leaf-cutting ants. Journal of Insect Science, 2012.
- S. Haeder et al.: Candicidin-producing Streptomyces support leaf-cutting ants to protect their fungus garden against the pathogenic fungus Escovopsis. PNAS, 2009.
- U.G. Mueller et al.: Symbiont choice in a fungus-growing ant (Attini, Formicidae). Behavioral Ecology, 2004.