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Regenwaldverluste in Amazonien – welche Zahlen sind verlässlich?

Das World Resources Institute hat Daten der Online-Plattform Global Forest Watch ausgewertet, wonach die Regenwaldzerstörung im brasilianischen Teil Amazoniens im Jahr 2024 fast einen traurigen Höchststand erreicht hat. Andere Quellen kommen für denselben Zeitraum auf viel niedrigere Zahlen. Welche Zahlen sind verlässlich?

Die tropischen Regenwälder im Einzugsgebiet des Amazonas erstrecken sich über eine riesige Fläche von 8 Millionen km2. Die länderübergreifende Region wird Amazonien genannt, und sie bedeckt 40% der Fläche Südamerikas. Mit 4,97 Millionen km2 liegt weit mehr als die Hälfte Amazoniens in Brasilien, und zwar in den Bundesstaaten Acre, Amapá, Amazonas, Mato Grosso, Pará, Rondônia, Roraima, Tocantins, und im westlichen Teil des Bundesstaats Maranhão. Der nicht-brasilianische Rest Amazoniens verteilt sich auf die Länder Peru, Kolumbien, Bolivien, Ecuador, Französisch-Guayana, Guayana, Surinam und Venezuela. Die im folgenden genannten Zahlen beziehen sich ausschließlich auf den brasilianischen Teil Amazoniens.

INPE
Im November 2024 hat das Nationale Institut für Weltraumforschung (INPE), eine der angesehensten Forschungseinrichtungen Brasiliens, Daten veröffentlicht, wonach die Entwaldung im brasilianischen Teil Amazoniens mit 6.290 km2 im Jahr 2024 deutlich zurückging.

MapBiomas
Der Spiegel hat am 15.05.2025 berichtet, dass die Abholzung in Brasilien im Jahr 2024 um ein Drittel zurückgegangen sei. In dem Artikel wird auf Daten der Initiative „MapBiomas“ referenziert. MapBiomas ist ein Netzwerk bestehend aus Nichtregierungsorganisationen, Universitäten und Technologie-Start-Ups. Gemäß MapBiomas wurden im Jahr 2024 im brasilianischen Teil Amazoniens 3.780 km2 tropische Regenwälder abgeholzt.

WRI/GFW
Das World Resources Institute (WRI) ist eine Nichtregierungsorganisation, die die Daten der Online-Plattform Global Forest Watch (GFW) auswertet. WRI hat am 20.05.2025 die Daten für die Regenwaldverluste im brasilianischen Teil Amazoniens mit 28.200 km2 veröffentlicht und verweist auf den höchten Anstieg seit dem Jahr 2016. Mit 18.400 km2 ist der größte Teil davon auf Brandrodung zurückzuführen.

Grafik: Regenwaldverluste - Vergleich der Zahlen unterschiedlicher Quellen
Regenwaldverluste im brasilianischen Teil Amazoniens im Jahr 2024 – Vergleich der Zahlen von MapBiomas, INPE und WRI/GFW. Bei MapBiomas und INPE werden die durch Brandrodung zerstörten Regenwaldflächen nicht berücksichtigt. WRI/GFW berücksichtigt diese, weswegen der Wert für die Regenwaldzerstörung im Jahr 2024 deutlich größer ist.

Die Werte von MapBiomas, INPE und WRI/GFW weichen teils mehr als das Siebenfache voneinander ab. Wie kann es zu diesen enormen Unterschieden kommen?

Alle drei Initiativen werten mit ihren Waldüberwachungssystemen Satellitenbilder aus, um abgeholzte Gebiete zu identifizieren und zu quantifizieren. Obwohl es zahlreiche Gemeinsamkeiten gibt, verfolgt jede Initiative etwas unterschiedliche Ziele und nutzt eigene Methoden, um die Daten zu erfassen. So werden unterschiedliche Satelliten mit unterschiedlichen räumlichen Auflösungen und unterschiedlichen zeitlichen Wiederholungen verwendet. Die Satellitenbilder können zudem manuell von Technikern oder rein maschinell von Computern ausgewertet werden.

Das Überwachungsprogramm PRODES der INPE
INPE nutzt zur Überwachung der Abholzung in Brasilien das Brazilian Amazon Deforestation Satellite Monitoring Program (PRODES). Daneben gibt es noch ein weiteres Programm, das Real-Time Deforestation Detection System (DETER), das hier nicht näher betrachtet werden soll. PRODES wertet Daten von fünf Satelliten aus:

  • Landsat 8 und 9 (NASA und der U.S. Geological Survey, USGS),
  • Sentinel (Europäische Weltraumagentur, ESA),
  • CBERS 4 und 4A (Brasilien und China).

Zur Berechnung der jährlichen Abholzungsrate werden nur abgeholzte Flächen herangezogen, die mindestens 6,25 Hektar (62.500 Quadratmeter oder kurz m2) groß sind. Eine Fläche von einem Hektar (10.000 m2) entspricht etwa der Größe eine Fußballfelds. Das kleinste Entwaldungsgebiet, das mit PRODES aktuell erfasst werden kann, ist folglich so groß wie etwa sechs Fußballfelder. Kleinere abgeholzte Flächen können nicht erfasst werden.

PRODES erfasst den vom Menschen verursachten Kahlschlag der Wälder, das heißt, das vollständige Abholzen von Wäldern mit Kettensägen oder Bulldozern von einem Jahr zum nächsten, sei es für die Gewinnung landwirtschaftlich genutzter Flächen oder um Platz für städtische Gebiete oder Staudämme zu schaffen. Die Informationen werden manuell von Technikern der INPE ausgewertet. Per Definition werden Regenwaldverluste durch Brandrodung in den PRODES-Daten nicht berücksichtigt.

Das besondere bei PRODES ist, dass es nicht dem Kalenderjahr folgt, sondern dem Beginn der Trockenzeit, weil in der Trockenzeit in der Regel am meisten Regenwald zerstört wird. Die Trockenzeit beginnt Anfang August. Das PRODES-Jahr beginnt dementsprechend im August und endet im Juli des Folgejahres. Die Daten für 2024 umfassen also den Zeitraum von August 2023 bis Juli 2024.

Im Jahr 2019 hat der damalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro versucht, die INPE-Daten politisch zu beeinflussen. Die Daten aus den ersten sieben Monaten des Jahres 2019 (seit Beginn der Bolsonaro-Regierung) lagen mit 4.500 km2 um 60% höher als im gleichen Zeitraum im Jahr zuvor. Die Daten passten Bolsonaros nicht, weswegen er sie als „eine Lüge“ bezeichnet und daraufhin den damaligen Direktor der INPE, Ricardo Galvão, entlassen hatte.

MapBiomas – hochauflösende Satellitenbilder
Seit dem Jahr 2015 wertet die Initiative MapBiomas Satellitenbilder aus offiziellen Überwachungsprogrammen (zum Beispiel INPE/PRODES) aus, um Änderungen der Landnutzung im brasilianischen Teil Amazoniens zu identifizieren und zwar hinsichtlich der vorhandenen Vegetation, landwirtschaftlicher Aktivitäten und städtischen Strukturen. Die MapBiomas-Daten berücksichtigen nur die vollständige Entfernung der einheimischen Vegetation (einschließlich Wälder, Savannen und Grasland) und schließen Verluste durch Brandrodung, selektiven Holzeinschlag und andere Formen von teilweiser Störung aus. Die Satellitenbilder werden automatisch mit Hilfe der Google-Earth-Plattform ausgewertet.

Wenn in einem bestimmten Bereich genügend Hinweise für Störungen in der Vegetationsdecke identifiziert werden, nutzt MapBiomas die hochauflösenden Satellitenbilder des privaten Satelliten-Netzwerks „Planet“, um die Daten zu validieren und zu verfeinern. Die Satellitenbilder von Planet haben eine Auflösung von 3,7 x 3,7 Metern, das sind 14 m2.

WRI/GFW – der Goldstandard
Global Forest Watch (GFW) ist eine Initiative, die regelmäßig Daten zur Entwaldung im brasilianischen Teil Amazoniens veröffentlicht. GFW wird von Wissenschaftlern der Universität Maryland (USA) betrieben und vom World Resources Institute (WRI), einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Washington DC (USA), finanziert und überwacht.

GFW nutzt die Bilder von Landsat 8 und Sentinel 2. In Daten von GFW haben eine höhere Auflösung als die von INPE/PRODES. Mit dem Sentinel-2-Satelliten wird eine minimale Auflösung von 10 x 10 Metern erreicht. Landsat 8 erreicht eine minimale Auflösung von 30 x 30 Metern (900 m2 oder 0,09 Hektar), was in etwa der Größe eines Basketballfelds entspricht. Ein Basketballfeld entspricht also dem kleinsten Entwaldungsgebiet, das Landsat 8 erfassen kann.

Im Gegensatz zu INPE/PRODES erfasst GFW jede Art von Waldverlust, sei er natürlich entstanden oder vom Menschen verursacht, auf einer Fläche größer als ein Basketballfeld mit Bäumen, die größer sind als fünf Meter. Die Satellitenbilder werden maschinell von Computern ausgewertet, wobei ein automatisierter Algorithmus Änderungen in den 30 x 30 Meter großen Feldern erkennt. Im Gegensatz zu MapBiomas und INPE/PRODES werden Regenwaldverluste durch Brandrodung in den GFW-Daten berücksichtigt. Die GFW-Daten folgen dem Kalenderjahr mit Januar bis Dezember 2024.

Grenzen der Satellitenüberwachung
Allen hier genannten Überwachungssystemen ist gemein, dass die Satelliten Bilder im sichtbaren Licht und im Infrarotlicht aufnehmen. Das ist problematisch, wenn sich gerade Wolken über dem entsprechenden Gebiet befinden, die von den Sensoren der Kameras nicht durchdrungen werden können. Deswegen ist es wichtig, dass die Daten von verschiedenen Überwachungssystemen kombiniert und miteinander abgeglichen werden. Mit Radartechnologie ausgestattete Satelliten werden künftig helfen, das Wolken-Problem zu umgehen. China plant im Jahr 2028 den CBERS-6-Satelliten zu starten, der über entsprechende Radartechnologie verfügt. Die ESA hat im April 2025 den „Biomass“-Satelliten gestartet, mit dessen Radartechnologie die Biomasse der Wälder exakt erfasst werden soll.

Die automatisierte Auswertung von Satellitendaten kann zu fehlerhaften Ergebnissen führen. Zum Beispiel könnten saisonal auftretende Überschwemmungen am Amazonas von dem automatischen System fälschlicherweise als Kahlschlag interpretiert werden. Dem geschulten Auge eines Experten würde dieser Fehler nicht unterlaufen. Allein wegen der Fülle an Daten ist die automatische Auswertung von Satellitendaten unverzichtbar, zudem ist sie günstiger und schneller. Mit Hilfe der künstlichen Intelligenz (KI) wird die automatische Auswertung künftig immer mehr verbessert werden.

Brandrodung
Als einziges erfasst WRI/GFW durch Brände hervorgerufene Waldverluste, seien diese vom Menschen verursacht oder auf natürliche Weise entstanden. In den feuchten Tropen entstehen Brände meist nicht auf natürliche Weise, sondern werden fast immer vom Menschen gelegt. Die WFI/GFW-Daten erfassen Waldbrände, Brände zur Rodung von Land für andere Zwecke und absichtlich gelegte Brände, die zu einem direkten Verlust der Baumkronen führen. Nach einem Kahlschlag mit Kettensägen und Bulldozern werden Vegetationsreste meist verbrannt; die daraus entstehenden Brände gehen nicht in die WRI/GFW-Daten ein.

Grafik: jährliche Regenwaldverluste in Brasilien in den Jahren 2002 bis 2024 - Vergleich der Daten von GFW und INPE mit Trendlinien
Jährliche Regenwaldverluste im brasilianischen Teil Amazoniens in den Jahren 2002 bis 2024 – Vergleich der Daten von GFW und INPE mit Trendlinien

Wie viel Regenwald wird tatsächlich zerstört?
Experten sehen die unterschiedlichen Angaben zur jährlichen Regenwaldzerstörung nicht problematisch, solange der Trend in dieselbe Richtung geht, das heißt, alle Überwachungssysteme für ein Jahr einheitlich eine Zu- oder Abnahme der Regenwaldzerstörung postulieren. Aber gerade für das Jahr 2024 scheint dies nicht der Fall. Während MapBiomas und INPE melden, dass die Regenwaldzerstörung im vergangenen Jahr zurückgegangen sei, meldet WRI/GFW von massiven Bränden verursachte Rekordverluste in 2024. Was ist richtig?

Wahrscheinlich gibt es nicht die eine Zahl, die die Regenwaldzerstörung richtig und vollständig beschreibt, dafür ist das Thema einfach zu kompliziert. Deswegen sollten die veröffentlichten Zahlen kritisch hinterfragt und in den richtigen Zusammenhang gestellt werden. Obwohl wir so viele Informationen wie noch nie verfügbar haben, ist dies in unserer schnelllebigen Zeit natürlich sehr mühsam.

Ich muss gestehen, dass ich, trotz intensiver Recherche, aktuell nicht abschätzen kann, welche Zahl der Realität am nächsten kommt, tendiere aber zu den Zahlen von WRI/GFW, weil die Verluste durch Brandrodung erfasst werden.

Weiterführende Links

Massive Regenwaldverluste im Jahr 2024

Elizabeth Goldman vom World Resources Institute (WRI) hat Daten der Online-Plattform Global Forest Watch (GFW) ausgewertet, wonach die Regenwaldzerstörung im Jahr 2024 einen traurigen Höchststand erreicht hat.

Die Daten zeigen, dass weltweit im vergangenen Jahr 67.000 Quadratkilometer tropische Regenwälder zerstört wurden und zwar hauptsächlich Primärwälder, also weitgehend unberührte Wälder. Diese Fläche entspricht ungefähr der Fläche Bayerns und ist fast eine Verdoppelung verglichen mit dem Jahr 2023, als 37.000 Quadratkilometer zerstört wurden.

Im Jahr 2024 wurden durch die derartig massive Zerstörung der tropischen Regenwälder 3,1 Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid (kurz Kohlendioxid oder CO2) in die Atmosphäre freigesetzt, was etwas mehr als dem jährlichen CO2-Ausstoß Indiens aus der Nutzung fossiler Brennstoffe entspricht.

Neu ist, dass Brandrodung mit einem Anteil von fast 50% hauptverantwortlich für die Zerstörung ist und nicht Landwirtschaft. In den vergangenen Jahren war Brandrodung nur für etwa 20% der Verluste verantwortlich.

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